Full text: [Teil 5 = 5. Schulj., [Schülerbd.]] (Teil 5 = 5. Schuljahr, [Schülerband])

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Etwa acht Schritte von mir entfernt stand ein Haselnußstrauch, und 
auf den ringelte die Schlange zu, leise, ganz leise durch das hohe, dünne 
Gras, so daß sich kaum die Halme bewegten. „Die hat etwas im Schilde!" 
dachte ich; denn ich sah's ihr an, wie vorsichtig sie jedes trockene Blatt 
vermied, das etwa rascheln könne, und wie ihre Augen funkelten und 
unverwandt nach dem Nußstrauche gerichtet waren. Jetzt sah ich's. Auf 
einem trockenen Zweige des Strauchs, etwa einen halben Meter von der 
Erde entfernt, saß nämlich ein Vvglein, ein buntes, niedliches Finken¬ 
hähnchen, den Rücken der unbemerkt nahenden Schlange zugekehrt und 
schlug sorglos seine muntern Triller. Im ersten Augenblicke wollte ich 
aufspringen, den Böget retten und die Schlange vernichten — und ich 
verzeihe mir heute noch nicht, daß ich's nicht gethan; aber die Wißbegierde 
des Naturforschers ließ mich das Mitleid unterdrücken. 
Indem schlug der Nogel noch einmal sein munteres Lied sorglos 
und fröhlich in den Wald hinein. Da fuhr die Schlange, schnell, wie 
ein Blitz, empor, daß ich selbst erschrak, und richtig, sie hatte das Böglein 
erwischt, aber nur bei einem Fuße. Denkt euch die Angst des armen 
Tieres, wie es — vielleicht war dicht daneben das Nestlein seiner Lieben 
— flatterte und schrie, gefangen am Maule des Ungetüms! 
Die Schlange zog den Finken nieder, und ich war sehr begierig, zu 
erfahren, was sie nun wohl mit ihm thun würde. Das sollte ich bald 
sehen. Die Schlange warf sich an die Erde, rollte sich in einen Knäuel 
zusammen itub versuchte, den Vogel mit ihrem Leibe zu umschlingen. Das 
gelang ihr aber nicht, denn der Vogel flatterte so heftig, so gewaltig um¬ 
her, daß er immer wieder den glatten Ringen ihres Leibes entschlüpfte. 
Die Versuche dauerteil eine geraume Zeit. Endlich mochte sie einsehen, 
daß sie ihn so nicht überwältigen könne; sie versuchte etwas Besseres. 
Sie schleppte ihre Beute, die gar kläglich schrie, nach einem Stamme des 
Strauches. Dicht an diesen legte sie ihren Kopf mit dem Vogel und 
wickelte nun ihren Leib um den Stamm uub um den Finken zugleich 
und zerdrückte ihn, htbem sie sich zusammenschnürte. Noch einige Male 
zappelte und pipte der Vogel so kläglich, daß mir das Herz im Leibe 
weh that, dann — war er tot. Nun legte die Räuberin die sichere Beute 
auf den Boden und fuhr öfters mit dem Kopfe auf derselben umher, 
gerade wie es eine Spinne mit der gefangenen Fliege macht, wenn sie 
dieselbe mit ihren Fäden umschlingt. Sie bedeckte den Vogel mit einem 
weißlichen Schleime, wie dies alle Schlangen thun, damit erstens die 
Beute, die sie nicht zerreißen können, leichter in ihren Schlund hinab-
	        
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