Äsop: Der alte Löwe.
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II. Vertiefung. 1. Charakter der drei Brüder. 3) Sie waren
arm, denn der Vater hinterließ jedem nur ein Drittel von einem Esel,
b) Sie waren gewissenlos und ungehorsam, denn sie erfüllten
nicht den letzten Willen ihres verstorbenen Vaters, e) Sie waren eigen¬
nützig und ungerecht. Den Nutzen wollten sie wohl haben, aber ihren
Verpflichtungen kamen sie nicht nach, ä) Sie waren geizig itnb hart¬
herzig, denn sie gaben dem Esel nicht das wohlverdiente Futter, e) Sie
waren roh und unbarmherzig. Sie zwangen das arme Tier zum
fortwährenden Traben, luden ihm zu schwere Lasten auf, gönnten ihm
nicht die nötige Ruhe, schlugen ihn mit Knütteln und versagten ihm jeg¬
liche Nahrung, k) Sie waren kurzsichtig und töricht; denn hätten
sie den Esel gehörig gefüttert, so hätten sie einen hundertfach größeren
Nutzen davon gehabt, als ihnen nun das abgezogene "Fell einbrachte.
2. Grundgedanke: Wer Rechte übernimmt, muß auch die
Pflichten erfüllen.
3. Verwandtes. Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert. Wie die
Arbeit, so das Futter. Der Unbarmherzige verlangt Elefantenarbeit und
gibt Mückenfutter. Du sollst dem Ochsen, der da drischet, nicht das Maul
verbinden. — Mit Füttern wird keine Zeit verloren.
4. Übertragung auf menschlicheVerhältnisse. Herren, die
ihre Mitmenschen in Dienst nehmen, sollen nicht nur deren Kräfte zu
ihrem Nutzen anwenden, sondern ihnen auch einen solchen Lohn geben,
der zu ihres Lebens Nahrung und Notdurft ausreichend ist. Jak. 5, 4:
Siehe, der Arbeiter Lohn, die euer Land eingeerntet haben, und der von
euch abgebrochen ist, schreiet usw.
III. Verwertung. Rede- und Stilübung. 1. Zeichne ein Cha¬
rakterbild der drei Brüder (s. unter II)! 2. Weise nach, daß der sterbende
Vater ein armer Erblasser, die harten Söhne aber habgierige Erben
und bestrafte Tierquäler waren! R. D.
3. Der alte Löwe.
Nach Äsop. Vgl. K. Simrock, Äsops Fabeln. Frankfurt a. M. S. 70.
Ein alter Löwe, der von jeher sehr grausam gewesen war7), lag kraftlos
vor seiner Höhle und erwartete den Tod. Die Tiere, welche sonst in Schrecken
gerieten, bedauerten ihn nicht; denn wer betrübt sich wohl über den Tod eines
Friedensstörers, vor dem man nie ruhig und sicher sein kann? Sie freuten sich
vielmehr, daß sie nun bald seiner los sein würden.2) Einige von ihnen, die
noch immer das Unrecht schmerzte, welches er ihnen ehedem3) angetan hatte,
wollten nun ihren Haß an ihm auslassen. 4) Der arglistige Fuchs kränkte ihn
mit beißenden Reden; der Wolf sagte ihm die ärgsten Schimpfwortes; der
Ochs stieß ihn mit seinen Hörnern; das wilde Schwein verwundete ihn mit
seinen Hauern, und selbst der träge Esel gab ihm einen Schlag mit seinem
Hufe. ch Das edle Pferd allein stand dabei und tat ihm nichts, obgleich der
Löwe seine Mutter zerrissen hatte.7) „Willst du nicht," fragte der Esel, „dem
Löwen auch eins hinter die Ohren geben?" Das Pferd antwortete: „Ich halte
es für niederträchtig, mich an einem Feinde zu rächen, der mir nicht mehr
schaden kann."ch