72. Storch und Kinder.
„Ei, lieber Storch, was suchst du hier,
wo bunte Blumen sprießen?
Du pflückst wohl einen Strauß wie mir;
drum kommst du zu den Wiesen." —
„Ach, liebe Kinder, weit gefehlt!
Schaut nur nach meinem Häuschen,
ob ihr nicht Hort vier Störchlein zählt!
Was soll mir da ein Sträußchen?
Vom frühen Morgen bis zur Nacht
muß ich nach Futter wandern,
und hab' ich eines satt gemacht,
so schreien schon die andern.
Man muß sich wohl den ganzen Tag
für seine Kleinen plagen,
und wer's von euch nicht glauben mag,
soll nur die Eltern fragen.
\ _ Lang.
73. Der Zaunkönig.
In alter Zeit hatten die Vögel ihre eigene Sprache, die
jedermann verstand; jetzt lautet es nur wie ein Zwitschern,
Kreischen und Pfeifen und bei einigen wie Musik ohne Worte.
Es kam aber den Vögeln in den Sinn, sie wollten nicht länger
ohne Herrn sein und einen unter sich zu ihrem Könige wählen.
Nur einer von ihnen, der Kiebitz, war dagegen; frei hatte er
gelebt, und frei wollte er sterben, und angstvoll hin- und her¬
fliegend, rief er: „Wo bliew ick? Wo bliew ick?" Er zog sich
zurück in einsame und uubesuchte Sümpfe und zeigte sich nicht
wieder unter seinesgleichen. — Die Vögel wollten sich nun über
die Sache besprechen, und an einem schönen Maimorgen kamen
sie alle aus Wäldern und Feldern zusannnen. Adler und Buchfink,
Eule und Krähe, Lerche und Sperling, — was soll ich sie alle
nennen! Selbst der Kuckuck kam und der Wiedehopf, sein Küster,
der so heißt, weil er sich immer ein paar Tage früher hören
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