Full text: (Für das 6., 7. und 8. Schuljahr) (Teil 3, [Schülerband])

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Die Hälfte gehört meiner Nachbarin. Ich will mein Lebtag ja kein einziges 
Stück Butter mehr in der Stadt verkaufen!“ Vergeblich flehte, schluchzte 
und bettelte die Arme: die beiden Amtsdiener hatten kein Ohr für ihre 
Bitten, und wahrlich hätte es sich auch schlecht geschickt für einen Diener 
der Obrigkeit, Mitleid und Milde zu zeigen. „Ja!“ rief der eine und 
riß der Alten den Korb fort, „das wäre Euch wohl recht, Frau Barbara! 
Schon zum dritten Male habt Ihr in der Stadt Butter verkauft, statt 
draußen auf dem Butterdamm, wie es der hohe Rat bestimmt hat. Wißt 
Ihr nicht, daß die Strafe dafür jedesmal auf das Doppelte steigt? Und 
nun macht kein solches Aufheben! Rasch ins Gerichtszimmer vor den 
Herrn Ratsrichter!“ Frau Barbara weinte bitterlich, aber es half ihr 
nichts, die Ratsknechte rissen sie mit sich fort, die Stufen zum Portal empor. 
6. Die versammelte Menschenmenge, die murrend und voll Teilnahme 
dem Handel zugesehen hatte, drängte sich nun schimpfend und scheltend 
den Schergen nach in die Ratshalle. „Seid nur ruhig!“ raunte der 
kleine, bucklige Ratsschneider leise der alten Frau ins Ohr. „Wir legen 
zusammen und ersetzen Euch den Verlust.“ „Das versteht sich!“ rief ganz 
laut und voll Grimm der mächtige Grobschmied. „Sollt schon wieder 
loskommen, und sollte ich Euch mit diesen beiden dazu helfen.“ Bei 
diesen heftig ausgestoßenen Worten schob er unwillig seine Ärmel in die 
Höhe und zeigte ein paar derbe, kräftige Arme. „Ei was!“ rief der 
dürre Würzkrämer Veit dazwischen, der der Vetter des Herrn Ratsrichters 
war: „Sie ist eine abscheuliche Betrügerin, die alte Barbara! Das Weib 
bringt alle ehrlichen Kaufleute um ihr Brot. Nicht ohne guten Grund 
hat der Rat das Gesetz zu unserem Schutz und Frommen erlassen. Die 
Strafe kann gar nicht streng genug sein für solchen Betrug!“ „Nun, nun, 
Herr Veit, so arg ist das Unrecht am Ende denn doch nicht!“ warf 
spöttisch eine kleine, wohlbeleibte Frau dazwischen, die sich in das Gedränge 
mischte. Es war die reiche Frau Amsel aus dem Bären, dem größten 
Wirtshaus in der Stadt. „Wie könnt Ihr die arme Frau nur gleich 
eine Betrügerin schelten? Eure Butter taugt wahrlich nichts, und es 
ist eine ganz abscheuliche Forderung des Rates, daß unsereiner in aller 
Kälte und Hitze beinahe eine Stunde bis zum Butterdamm hinauslaufen 
soll, um sich für sein schweres Geld ein Stück guter, frischer Butter von 
den Bauern zu holen, wenn man nun einmal die alte Ware von unsern 
Kaufleuten nicht nehmen will.“ „O, liebwerteste Frau Nachbarin, wie 
seid Ihr doch so ungerecht,“ schmunzelte nun der kleine Würzkrämer, der 
wieder ganz ruhig geworden war, mit süßem Lächeln. „Ihr tut wahrlich, 
als ob bei uns kein Lot guter, frischer Butter zu bekommen wäre, und 
als ob wir Euch nicht stets die beste und reellste Ware feilböten!“ 
„Die teuerste gewiß!“ erwiderte Frau Amsel ganz aufgeregt. „Was gehen 
uns überhaupt Eure Privilegien an? Wir wollen kaufen, wo und von 
wem es uns beliebt!“ Mit diesen Worten ließ sie den verblüfften Würz— 
krämer stehen und keuchte mit unwilligen Schritten die Rathaustreppe 
hinauf. „Hochmütige Hexe!“ brummte der Krämer ihr nach. „Und was 
das Schlimmste ist, man darf ihr trotz aller ihrer Grobheit nicht einmal
	        
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