Full text: [Teil 1 = 6. Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 1 = 6. Schuljahr, [Schülerband])

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Es zischend aus der Stirn heraus. Brüllend sprang der Riese empor. Ein 
dicker Blutstrom rann an der Stirne herab in seinen struppigen Bart. Er 
rannte in der Höhle rasend hin und her, um die Griechen zu erfassen; da 
er aber nicht sehen konnte, so entgingen diese seinen Händen, er aber rannte 
hier und da an die Felsenwand. Sein fürchterliches Wehgeschrei hatte die 
Riesen der Nachbarschaft aufgeweckt. Sie kamen vor seine Höhle und fragten, 
wer ihm etwas gethan habe. Ihnen antwortete Polyphem: „Niemand 
hat mir etwas gethan." — „Dann können wir dir nicht helfen", sagten die 
Riesen und gingen wieder fort. 
Nach langem Harren fallt der Morgen an, aber die Hoffnung der 
Griechen, nun aus der Höhle zu schleichen, schien vereitelt; denn der Riese 
schob den Stein nur so weit zurück, daß nur ein Schaf nach dein andern 
heraus konnte. Auch befühlte er den Rücken eines jeden, ob vielleicht ein 
Grieche darauf sitze. Als dies die Griechen sahen, hielten sie sich für ver- 
loren. Traurig saßen sie den Tag über in der finsteren Höhle und grübel¬ 
ten nach, wie sie sich retten sollten. Da rief Odysseus: „Morgen rette ich 
euch, wenn der Riese seine Herde wieder hinaus läßt. Dann suche ich die 
stärksten Hammel heraus, binde unter einen jeden einen meiner Gefährten, 
den größten Widder behalte ich bis zuletzt, um mich unter dessen Bauch zu 
hängen, indem ich mich an der langen Wolle desselben festhalte und mich 
mit den Füßen um den Hinterfuß des Widders schlinge." Wie gesagt, so 
gethan. 
Schon waren am andern Morgen alle Schafe heraus und mit ihnen 
die Griechen, nur der große Widder stand noch an der Thür. Ihm klagte 
Polyphem sein Leid. „Du gutes Tier", sagte er, „kennst meinen Schmerz, 
denn seither warst du immer fröhlich voran, heute bist du der letzte. Aber 
warte nur, ich werde die Bösewichte schon erwischen und furchtbar züchtigen." 
Mit diesen Worten ging er hinter dem Widder her zur Höhle hinaus und 
schloß sie bedächtig mit dem Steine. Odysseus aber ließ den Widder los, 
band seine Gefährten ab und eilte mit ihnen nach den Schiffen. Sie 
ruderten weit hinaus ins Meer. Als sie weit genug waren, rief Odysseus: 
„Polyphem, wenn dich jemand fragt, wer dir das Auge ausgestoßen hat, 
so sage ihm, Odysseus aus Jthaka ist es gewesen!" Als Polyphem dies 
hörte, ergriff er ein großes Felsstiick und schleuderte es nach der Richtung 
hin, woher die Worte kamen. Sausend flog der Fels über das Schiff und 
siel krachend ins Meer. Hohe Wellen schlugen empor und trieben des 
Odysseus Schiff nach der Küste, wohin der Riese gelaufen kam, um die 
Griechen zu ergreifen. Nur mit großer Mühe gelang es den Ruderern, 
das Schiff wieder in ihre Gewalt und auf das hohe Meer zu bringen. 
2. 
Lange irrte Odysseus nun wieder auf dem weiten Meere umher. Da 
kam er auf eine schöne Insel, wo der Gott der Winde, Äolos, wohnte. 
Da dieser viel Gefallen an Odysseus fand, so schenkte er ihm einige Schläuche 
voll Wind mit der Mahnung, sie wohl zu verwahren. Bereits war Odysseus 
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