44. Herden und Hirten in Ungar«.
Die Pferdeherden, welche die Steppen bevölkern, leben ausschließlich
in der freien Luft; sie werden von dem Csikos (spr. Tschikosch) gehütet,
d. h. von dem kühnsten Reiter. Die Tiere bleiben mehrere Jahre lang in
ihrem halbwilden Zustande bis auf den Tag, wo die Zähmung festgesetzt
wird. Eines Morgens sucht sich der Csikos ein Pferd aus, das ihm ge¬
fällt; freundlich zu ihm sprechend, geht er ihm immer näher, die eine Hand
ausstreckend, als wolle er es liebkosen. Das Tier blickt den Menschen von
der Seite an, als ahne es die Gefahr für seine Freiheit; es dehnt seine
Nasenlöcher aus und sträubt seine Mähne, sobald es die Hand auf seinem
Nacken fühlt; es ist im Begriff, die Flucht zu ergreifen... aber der Csikos
hat seine Mütze ins Gesicht gedrückt, die Zähne zusammengebissen und
sitzt schon auf dem Rücken des Pferdes, ehe noch dasselbe sich in Bewegung
gesetzt hat. Nun beginnt zwischen dem Tiere und seinem Reiter ein furcht¬
barer Kampf. Überrascht und bestürzt macht das Tier verzweifelte Versuche,
die ungewohnte Last abzuschütteln: es bäumt sich, springt seitwärts und
rückwärts — alles vergeblich, der Csikos stößt in regelmäßigen Zwischenräu¬
men ein Wölkchen von Tabaksrauch ans seinem Munde, in geduldiger
Erwartung, bis es dem Tiere gefällig ist, ein Ende zu machen. Es
wirft sich endlich auf die Erde, aber in dem Augenblicke, wo es sich bückt,
zieht der Reiter seine Beine empor, bleibt aber immer im Gleichgewichte,
und wenn das Pferd wieder aufspringt, trägt es den Mann nach wie
vor auf dem Rücken. Nun schießt es wie ein Pfeil vorwärts, es will der
unerträglichen Last entfliehen und bietet seine letzten Kräfte auf, um zu
entkommen. Das hatte der Csikos eben erwartet. Er schaut nach der
Sonne, merkt sich die Richtung, in welcher sein Renner die nackte Steppe
durcheilt, und läßt ihn laufen. Ist das Pferd erschöpft, so fällt es
nieder; dann legt ihm der Reiter das Gebiß an, läßt es sich wieder
erholen und führt es zahm und geduldig zurück.
Es ist ganz charakteristisch für den ursprünglich nomadischen Magy¬
aren, daß er einen so großen Reichtum von Worten für die Viehzucht hat.
Während der Kuhhirt eines Dorfes schlechthin Csordas (von Csorda, die
Herde) genannt wird, heißt der, welcher die Rinderherden der Pußten, vor¬
nehmlich die zur Mast bestimmten Ochsen, hütet, der Gulyas (spr. Gn-
ljahsch, von Gulya, die Rinderherde).
Die Gulyasen sind starke, stämmige Burschen, die auch den Kampf
mit dem wütendsten Stiere nicht scheuen. Die ungarischen Rinder sind
hoch und schlank gebaut, ans ihren Augen leuchtet ein lebhaftes Tempera¬
ment; werden sie in der Hitze von Insekten geplagt, so rennen sie wohl im
schnellsten Laufe wild nach allen Richtungen. Aber der Gulyas macht sich
aus der nächsten besten Pferdeherde beritten und rennt ihnen nach, und mit
Hilfe der drei Klafter langen Peitsche und der nicht fehlenden Hunde sind
die Flüchtigen bald wieder vereinigt. Man sieht die Gulyasen auch wohl
in eine Rinderherde hineinreiten, ein schweres einjähriges Kalb beim
Schwänze packen und es mit einem Ruck in den Sattel heben. Die Lieb-