Full text: [Hauptstufe, [Schülerbd.]] (Hauptstufe, [Schülerbd.])

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Hause auch den alten Jansen als Erbstück mit übernommen hatte, einen 
goldtreuen Diener des Hauses, mit Leib und Seele, wie sonst dem alten, 
nun dem jungen Herrn zugethan, welchen er schon als Kind auf den Knieen 
geschaukelt hatte. Wenige verstanden das Handelswesen damaliger Zeit bis 
in seine äußersten Verzweigungen so von grund aus wie der alte Jansen; 
daher galt auch sein Wort in der Schreibstube wie das des Herrn selbst. 
Der dreißigjährige Krieg verheerte schon seit zwanzig Jahren unser 
armes Vaterland durch Raub, Mord und Brand von einem Ende zum 
andern; Städte und Dörfer waren zu hunderten verheert und verlassen 
von den Bewohnern, die mit dem Vieh in die Wälder geflohen waren, 
um sich vor den räuberischen, blutigen Händen der gottlosen Kriegsleute 
zu retten. Unter diesen Umständen und namentlich auch bei der Un— 
sicherheit der Straßen in allen Ländern war es kein Wunder, daß der 
Handel stockte, und vorzüglich der Vertrieb ins Innere von Deutschland 
gelãymt war. Das fühlte man auch im Kontor des Hermann Gruit, da 
schon seit längerer Zeit viel seltener und weniger bepackt die Saumrosse 
und Frachtwagen vor dem Hause hielten; und drinnen war's oft wochen⸗ 
lang so still wie in einer Kirche, während es sonst manchen Tag in und 
vor dem Hause fast so lebhaft herging als auf dem Markte. 
Da geschah es eines Morgens, daß, nachdem der alte Jansen im 
Kontor lange den Kopf geschüttelt und dann noch länger gedankenvoll 
von seinen Briefen weg hinauf an die braungetäfelte Zimmerdecke so starr 
geschaut hatte, als wolle er die Fliegen oben zählen, er sechsmal nach 
einander mit seinem Schwanenkiel in das große silberne Tintenfaß tunkte, 
die übervolle Feder gewaltig auf den Tisch stampfte und dadurch den vor 
ihm liegenden angefangenen Brief, von oben bis unten mit Tintenflecken 
marmoriert, auf einmal fertig machte. Hermann, ihm gegenübersitzend, 
fuhr fast erschrocken vom Sitze auf und sagte: „Ei, Jansen, haben wir 
denn heute St. Veitstag, oder seid ihr vielleicht zum ersten Mal in eurem 
Leben so früh schon in den Ratskeller geraten und habt von einem 
spanischen Fäßchen gekostet?“ — „Nein, Herr,“ antwortete Jansen 
mürrisch, aber so geht's nimmer; bei uns in Deutschland ist es aus 
mit dem Gewinn auf dem gewöhnlichen Wege bei dem verwetterten Kriege. 
Potz Blitz und Gustav! was hilft uns unser großes Schiff, das immer 
an der Küste wie eine Schnecke sich hinwindet, um uns die sündteuren 
Waren von den geizigen Mynheern aus Holland herbeizuholen? Wir 
müssen zwanzigfach bezahlen, was wir einfach aus der ersten Hand haben 
könnten von ihren Nachbarn, den Engländern, und in Amerika selbst. 
Gebt mir auf ein Jahr das Schiff und so viel Geld und Nürnberger 
Waren als möglich und laßt mich nach der neuen Welt fahren; ihr wißt, 
der alte Jansen war schon zweimal dort und versteht den Kram. Zwar 
der alte Herr war auch immer ängstlich und meinte, es lasse sich ja ohne 
großes Wagnis schon bei uns was gewinnen; aber das ist nun anders 
geworden, drum muß man's anders treiben.“ 
Da standen die beiden Herren auf, gingen lange im Zimmer auf 
und ab und beratschlagten. Nachdem nun jedes Für und Wider hinrei— 
chend erwogen worden, wie es verständigen Männern ziemt, wurde be— 
schlossen, daß Jansen reisen sollte.
	        
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