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2. Luthers Klosterleben.
Zu Anfang mußte Luther in dem Kloster die niedrigsten und be—
schwerlichsten Arbeiten verrichten; er mußte die Kirche fegen, die Glocken
läuten und mit dem Bettelsack in der Stadt umherlaufen, milde Gaben
für das Kloster einzusammeln. Das alles that er unverdrossen um Gottes
willen, bis ihm auf Fürbitte der hohen Schule diese gemeinen Verrichtungen
erlassen wurden. Dabei war er in allen Stücken seinen Obern gehorsam
und den Regeln seines Ordens strenge getreu. Mit Eifer ergriff er die
Studien, die zu seinem neuen Berufe notwendig waren; aber er fand sich
unter Schriftsteller, die über Weisheit in göttlichen Dingen geschrieben
hatten, wie in dürre Sandwüsten versetzt. Das Wort Gottes allein gab
ihm, der da lechzte nach Wahrheit und Klarheit, lauteres Wasser. Es
war daher sein größtes Labsal, wenn er zuweilen heimlich aus diesem
Lebensquell schöpfen konnte. Aber nur selten konnte das geschehen; denn
die heilige Schrift war in der Büchersammlung des Klosters an eine Kette
von Eisen geschlossen, und es war damals durchaus nicht üblich, unmittel—
bar aus Gottes Wort Unterricht zu nehmen. Es bewies sich aber dieses
an ihm als eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben.
Luther war ins Kloster gegangen, um ein treuer Diener des Herrn zu
werden. Er erforschte daher nach der Schrift sein Herz und fand es mit
sündlichen Neigungen und Regungen erfüllt. Diesen Zustand erkennend,
überfiel ihn Angst und Schrecken vor dem Gericht des allmächtigen und
heiligen Gottes, der ein strenger Richter ist über alles und in die Tiefen
des Herzens siehet. All sein vieles Studieren, Lesen, Beten und Singen
gab ihm den Frieden mit Gott nicht, nach dem er seufzete. Er mühete
sich ab mit allerlei Werken der Buße und Kasteiung und konnte dennoch
nicht seine Seele beruhigen. Diese Mühen und furchtbare Seelenangst
warfen ihn auf das Krankenlager und in eine so tiefe Schwermut, daß
er sich in seine Zelle fest einschloß und anderthalb Tage nicht zum Vor—
schein kam. Mit Gewalt mußte man die Thür aufbrechen, und da fand
man den Mann Gottes auf seinem Bette liegen, fast erstorben. Wie ein
Toter, mit offnen, stieren Augen, lag er da, unbeweglich, starr und blaß.
Alsbald stimmte sein Freund Lukas Edenberger mit einigen Chorschülern
einen frommen Gesang an, und sieh da! die holde Musika brachte
Leben in des erblaßten Mannes Seele zurück. Da trat auch ein alter
Mönch vor sein Bett hin, sprach ihm Trost zu und forderte ihn auf sich
einfältig zu halten an das apostolische Bekenntnis: Ich glaube eine Ver—
gebung der Sünden. Dieses warf schon einiges Licht und Trost in
Luthers geängstete Seele, daß er anfing, die Gewißheit der Vergebung
der Sünden aus Gnaden um Christi willen im Glauben zu erfassen. Und
als um diese Zeit der Generalvikar des Augustiner-Ordens in Deutsch—
land, der edle Johann von Staupiz, nach Erfurt kam, sprach der ihm
Trost und Mut ein und sagte; „Gott hat dich zu etwas Großem er—
sehen; aus Weisheit und aus Liebe richtet er dir diesen Kampf an, damit
du frühe geübet werdest.“ Durch solchen Zuspruch und durch Christi
Worte und Einladungen im Evangelium ermuntert, hielt sich Luther gläubig
an Gottes Gnade, und nach und nach ward ihm durch des heiligen Geistes
Kraft die Vergebung der Sünden im Herzen versiegelt. So hat endlich