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Und nah, wo Knab' und Mägdlein ruht, Erweckt sie nimmer, laßt sie ruhn,
hat auch ein Zeisig seine Brut; damit sie uns nichts Böses thun!
die lauschet auch zum Nest hinaus Es war ein Mensch, der in der Schling'
und breitet ihre Flügel aus mein armes Männchen gestern fing!
und sieht, wie sich die Häslein klein Es war ein Menschmit Hund und Roß,
dort um die holden Kinder freu'n. der euren Vater hetzt' und schoß! —
Da wagt sie sich in froher Hast Der Mensch ist nur im Schlafe mild,
auch bald hinab von Ast zu Ast doch wenn er wacht, oft hart und wild,
und setzet sich in stiller Lust hat kein Erbarmen mit dem Tier;
den Kindern gar auf Stirn und Brust, drum laßt uns fliehen fort von hier!“
und wo der warme Atem weht, Und Häschen läuft und Zeisig fliegt,
da wird das Köpfchen hingedreht. dochKnab' undMägdlein schlummernd
Und Zeisig spricht: „Sagt uns ge— liegt;
schwind, und beiden wie im Traum es kam,
was das für liebe Tierchen sind. als ob die Tierchen, fromm und zahm,
Wir glauben, es sind Vöglein doch, liebkosend sich an sie gewagt
die Federn wachsen ihnen noch!“ und manch verständlich Wort gesagt.
Die Häschen aber sprechen: „Nein, Und als sie endlich beide wach,
wo sollen Klau' und Schnabel sein? da schaun sie aller Seiten nach;
Die Lippen sind so rot und weich; doch still und leer iststrauchundBaum.
nein, die gehören nicht zu euch! „O weh, es war ein bloßer Traum;
Viel eher könnten's Häschen sein, fort, Bruder, fort, ich fürchte mich!
sind auch die Ohren etwas klein!“ 's ist hier so öd' und schauerlich!“
Und Zeisig hebt sein Köpfchen drauf Als Knab' und Mägdlein heim—
und ruft und singt: „Wacht auf! wärts springt,
wacht auf! hoch in der Luft das Vöglein singt:
Ihr seid so wunderhold und schön, „'s wär'nirgends öd' um euch und leer,
ihr müßt uns, wer ihr seid, gestehn; wenn nicht der Mensch so grausam wär,
wir woll'n in Lieb' und in Vertraun wenn ernichtselbstdasTierverscheucht',
euch in die offnen Äuglein schaun!“ das sich vertrauend zu ihm neigt.
Und Häschen klopft auf Hand und So aber geh er hübsch allein,
Wang' Herr Mensch, ich mag nicht bei ihm sein!“
und ruft: „Wacht auf! schlaft nicht Ihr, die ihr's kennt, und die ihr's wißt,
so lang! wie süß der Funke Leben ist;
Wir haben noch der Brüder viel; die ihr ihn ehrt und sorgend schont,
kommi mit, kommt mit zum frohen gleichviel in welcher Brust er wohnt;
Spiel; die ihr leichtsinnig nichts zerstört,
ihr seid so wunderhold und schön, selbst wenn's zu Tieres Lust gehört,
wir woll'n mit euch zur Mutter gehn!“ und die ihr denkt, das kleinste Tier
Als sie so sprechen, naht sich bald hat einen Vater doch mit mir:
die Mutter Häsin durch den Wald; geht nur getrost durch Wald und Flur,
die Mutter Zeisig flattert auch euch grüßt mit Freuden die Natur;
von Baum zu Baum, von Strauch vor eurem freundlichen Gesicht
zu Strauch; entfliehen ihre Kinder nicht.
und als sie hier die Kinder sehn, Doch, wo ich einen finden sollt',
da bleiben sie erschrocken stehn der anders dächt' und anders wollt',
und rufen ihre Jungen: „Fort! da stimmt' ich mit dem Vöglein ein:
die Schläfer sind ja Menschen dort! „HerrMensch, ich mag nichtbeidirsein!“
Christoph Ernst v. Souwald.