Full text: [Teil 2, [Schülerbd.]] ([Teil 2, [Schülerbd.]])

3. Der listige Ouäker?) 
Peter Hebel. 
Sämtliche Werke. III. Band. Karlsruhe. 1882. 8. 238. 
[Zuerst in : Der Rheinländische Hausfreund für 1812. Karlsruhe.] 
1. Die Quäker sind eine Sekte, zum Exempel) in Englands 
fromme, friedliche und verständige Leute, wie hier zu Lande die 
Wiedertäufer ungefähr, und dürfen vieles nicht thun nach ihren 
Gesetzen, nicht schwören, nicht das Gewehr tragen, vor niemand den 
Hut abziehen; aber reiten dürfen sie, wenn sie Pferde haben. Als 
einer von ihnen einmal abends auf einem gar schönen, stattlichen 
Pferde nach Haus in die Stadt wollte reiten, wartet auf ihn ein 
Räuber mit kohlschwarzem Gesicht, ebenfalls auf einem Roß, dein 
man alle Rippen unter der Haut, alle Knochen, alle Gelenke zählen 
konnte, nur nicht die Zähne, denn sie waren alle ausgebissen — 
nicht am Hafer, aber am Stroh. „Kind Gottes," sagte der Räuber^ 
„ich möchte meinem armen Tiere da, das sich noch dunkel an den 
Ausgang der Kinder Israel aus Ägypten erinnern kann, wohl auch 
ein gutes Futter gönnen, wie das Eurige haben muß dem Aussehen 
nach. Wenn's Euch recht ist, so wollen wir tauschen. Ihr habt 
doch keine geladene Pistole bei Euch, aber ich." Der Quäker dachte 
bei sich selbst: „Was ist zu thun? Wenn alles fehlt, so hab' ich zu 
Hause noch ein zweites Pferd, aber kein zweites Leben." Also 
lauschten sie mit einander, und der Räuber ritt auf dem Rosse des 
Quäkers nach Haus, aber der Quäker führte das arme Tier des 
Räubers am Zaum. 
2. Als er aber gegen die Stadt und an die ersten Häuser 
kam, legte er ihm den Zaum auf den Rücken und sagte: „Geh 
voraus, Lazarus3), du wirst deines Herrn Stall besser finden als ich." 
Und so ließ er das Pferd vorausgehn und folgte ihm nach, Gasse 
ein, Gasse aus, bis es vor einer Stallthüre stehn blieb. Als es 
stehn blieb und nimmer weiter wollte, ging er in das Haus und in 
die Stube, und der Räuber fegte gerade den Ruß aus dem Gesichte 
mit einem wollenen Strumpfe. „Seid Ihr wohl nach Hause 
gekommen?" sagte der Quäker. „Wenn's Euch recht ist, so wollen 
wir jetzt unsern Tausch wieder aufheben; er ist ohnehin nicht gerichtlich 
bestätigt. Gebt mir mein Rößlein wieder, das Eurige steht vor der 
Thür." Als sich nun der Spitzbube entdeckt sah, wollte er wohl 
oder übel, gab er dem Quäker sein gutes Pferd zurück. „Seid so 
gut," sagte der Quäker, „und gebt mir jetzt auch noch zwei Thaler 
Rittlohn; ich und Euer Rößlein sind mit einander zu Fuß spaziert." 
Wollte der Spitzbube wohl oder übel, mußt' er ihm auch noch zwei 
Thaler Rittlohn bezahlen. „Nicht wahr, das Tierlein läuft einen 
sanften Trab?" sagte der Quäker. 
J) Die Quäker, eine von George Fox (1624—90) gestiftete Religions¬ 
gesellschaft (Sekte) in England. — 2) Das Exemp el, das Beispiel. — 
3) Lazarus, der Name des Kranken in der Parabel Luk. 16 V. 20, 
daher sprichwörtlich die Bezeichnung eines armen Elenden, Leidenden, Dürftigen.
	        
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