Full text: [Teil 2, [Schülerbd.]] ([Teil 2, [Schülerbd.]])

erstarrt dem aufrecht auf seinen Hinterfüßen stehenden Bären gegen¬ 
über. Doch gerade die Furcht war es auch, die seinem Arme jetzt 
ungewöhnliche Kräfte gab; er führte mit der Holzaxt einen so 
glücklichen Streich nach dem aufgesperrten Rachen des Tieres, daß 
er diesem den Unterkiefer zerschmetterte. Nun kam dem erschrockenen 
Manne die Besinnung wieder und zugleich ein ungewöhnlicher Mut. 
Nach feiner Erzählung erkannte er erst jetzt, daß der Feind, der da 
vor ihm stand, ein Bär sei, und dachte sogleich an die Prämie^, 
welche auf Erlegung eines Bären gesetzt ist. Beißen, das sah er 
wohl, konnte ihn das Tier mit seiner zerschmetterten Kinnlade nicht 
mehr, desto gefährlicher aber hätte ihm der Druck seiner Tatzen 
werden können, wenn es ihm nicht gelungen wäre, dem Bären nock- 
einige Wunden an der Brust und der Schulter beizubringen. Aber 
noch war der Feind nicht besiegt. Der Bär warf sich zu Boden 
auf den Rücken und fing mit vorgehaltenen Tatzen die meisten 
Streiche der Holzaxt auf oder minderte doch ihre Wirkung. Dennoch 
traf mancher Schlag so gut, daß das geängstete Tier sich zur Flucht 
bequemte; es wälzte sich plötzlich aus dem Schnee des jähen Berg¬ 
abhanges hinab in den unten vorbeifließenden Wildbach. Der Weber 
eilte ihm nach und sprang mutig hinein in das kalte Wasser, welches 
ihm fast bis an den halben Leib ging. 
4. Während er hier den Kampf mit dem schwer verwundeten 
Bären fortführte, kam der Ortsvorsteher aus dem Fußsteige her, der 
am Wasser hinführt. „Was thust du da?" rief er dem Weber zu, 
„wie willst du es im stände sein, einen solchen Bären zu erlegen? 
Laß ab, ich laufe hinein in den Ort und rufe etliche Scharfschützen!" 
Dem Weber wurde es jetzt bang um seine Prämie, welche in Gefahr 
stand, eine Beute der Scharfschützen zu werden; er strengte seine 
letzten Kräfte an, und es gelang ihm, dem schwimmenden Tier 
einen Schlag aus die Stirn zu versetzen, der dasselbe ganz betäubte. 
Er zog es jetzt aus dem Wasser heraus, wälzte es mit Mühe auf 
seinen Schlitten, band es da fest und fuhr mit der schweren Last so 
schnell als möglich auf der Straße nach dem Landgericht hinab. 
5. Unterweges begegneten ihm die Scharfschützen samt dem 
Ortsvorstand. „Sei kein Narr," sagte einer der ersteren, „und bilde 
dir eine Prämie ein! Es heißt ausdrücklich, Schußgeld wird für 
einen Bären gezahlt, du aber hast den deinigen nicht erschossen, 
sondern totgeschlagen." — Der Bär schien sich jetzt wieder ein wenig 
zu regen, einer der Scharfschützen schoß ihn, ohne sich an den Wider¬ 
spruch des Webers zu kehren, durch den Kopf. Der Weber aber, 
als die Männer ihn verlassen hatten, setzte seinen Weg nach dem 
Landgerichte so eilig als möglich fort, nicht ohne bange Besorgnis, 
ob man ihm seinen Totschlag wohl ebenso hoch anrechnen würde als 
einen Totschuß. 
*) Eine Prämie, eine Belohnung für verdienstliche Leistungen.
	        
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