Sagen un6 Märchen.
49, Baldur. Floß.
Ebenso sehnsüchtig, wie wir noch heut', warteten unsere Urväter in
des Winters harten Banden auf das Nahen des Licht und Wärme spen¬
denden Frühlings, der die erstorbene Natur zu neuem Leben weckt.
Baldur, Wodans Sohn, war den alten Deutschen der Gott der
Frühlingssonne, und mit ganz besonderer Liebe hat ihr Sinn sich sein
Bild ausgemalt. Nur Gutes, so heißt es in der Edda, ist von ihm zu
sagen: er ist der beste von allen Äsen und wird von allen gelobt. Er
ist so schön von Antlitz und so glänzend, daß ein Schein von ihm aus¬
geht. Ein Kraut ist so licht, daß es mit Baldurs Augenbraue ver¬
glichen wird; es ist das lichteste aller Kräuter (die Kamille). Er ist
der weiseste, beredteste und mildeste aller Äsen; seine Urteile kann nie¬
mand schelten. Er bewohnt im Himmel die Stelle, welche Breidablick,
die weitglänzende, heißt. Da wird nichts Unreines geduldet.
Aber kurz nur ist im germanischen Norden der sonnige Teil des
Jahres. Der Frühling schwindet, der Sommer geht, wie alles Schöne
auf Erden vergänglich ist. So findet auch der strahlende Lichtgott
Baldur ein frühes Ende. All die Wehmut, die das Menschenherz beim
Scheiden der Sommerzeit empfindet, spiegelt sich wieder in der Sage
von Baldurs Tod.
Baldur, der gute, hatte schwere Träume, die seinem Leben Gefahr
drohten. Und als er den Äsen seine Träume erzählte, pflogen sie Rates
zusammen und beschlossen, ihm Sicherheit vor allen Gefahren auszu¬
wirken. Da nahm Frigga Eide von allen lebenden Wesen und leblosen
Dingen, von allen vierfüßigen Tieren, Vögeln und Würmern, von
Feuer und Wasser, Eisen und allen Erzen, von Steinen und Bäumen,
Krankheiten und Giften und ließ sie schwören, daß keines Baldur
schaden sollte. Als das geschehen und allen bekannt war, da trieben
die Äsen Kurzweil mit Baldur: er stellte sich mitten in ihren Kreis, und
die einen schossen nach ihm mit Speeren, die andern hieben nach ihm,
und noch andere warfen mit Steinen. Aber was sie auch taten, kein
Geschoß, keine Waffe konnte Baldurs heiligen Leib verletzen.
Das sah Loki, und es gefiel ihm übel. Flugs nahm er die Gestalt
eines alten Weibes an und ging nach Friggas Halle. Die Göttin sah
die Frau kommen und fragte sie, ob sie wüßte, was die Äsen in ihrer
Versammlung vornähmen. „Sie schießen und werfen nach Baldur/