Full text: [Mittelstufe, [Schülerband]] (Mittelstufe, [Schülerband])

während des zwölfjährigen Dienstes auf dem Hofpize wird, wie 
folgt, berichtet. Er fand einst in einer eisigen Grotte ein halb¬ 
erstarrtes, verirrtes Kind, das schon dem zum Tode führenden 
Schlafe unterlegen war. Sogleich leckte und wärmte er es 
mit der Zunge, bis es aufwachte. Dann wußte er es durch Lieb¬ 
kosungen zu bewegen, daß es sich auf seinen Rücken setzte und sich 
an seinem Halse festhielt. So kam er mit seiner Bürde trium¬ 
phierend ins Kloster. — Nach seinem Tode wurde er ausgestopft 
und im Museum zu Bern aufgestellt. 
Leider ist die ursprüngliche Rasse dieser trefflichen Hunde, 
nachdem mehrere durch Lawinen umgekommen sind, gegen¬ 
wärtig ausgestorben. Man hat sie aber durch andere brauchbare 
Hunde ersetzt. ' 
Friedrich v. Tschildi. 
74. In der Dämmerstunde. 
Die angenehmste Erinnerung aus meiner Kindheit knüpft 
sich an die Abendstunden, wenn die Vorhänge herabgelassen, 
die Lichter angezündet waren und die kleine Schwester schlief. 
Dann fand die Mutter Ruhe, sich mit ihrem Strickstrumpf 
zwischen uns zu setzen, und wir plauderten von allem, was uns 
einfiel. Am liebsten war's uns, wenn die Mutter etwas er¬ 
zählte, namentlich von ihrer fernen Heimat,*) die wir auch als 
die unsrige betrachteten, von jenem abgelegenen Küstenlande 
mit seinen dunklen Wäldern und schimmernden Wiesenflächen, 
seinen frischen Quellen und ewigen Morästen, durchirrt von 
Elentieren, Bären, Wölfen, wo auch die Großeltern hausten und 
zahlreiche liebe Verwandte unser dachten, und wohin wir selbst 
auch bald zurück sollten. 
Die wilden Bestien waren jedoch das Beste, und namentlich 
wußte meine Mutter von Wölfen sehr wirkungsvoll zu berichten. 
Ob sie auch Kinder fräßen, fragten wir, und es erfolgte nach¬ 
stehende wahre Geschichte. 
„Es war einmal ein kleiner Junge, der war vier Jahre alt 
und hieß Jnrik. Seine Eltern waren Bauersleute und wohnten 
*) Esthland.
	        
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