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4. Mie kindlein, welehe der nähronden Brüst
der Mutter sich sollen entwöhnen,
so klagte sie Abend und Nacht den Voerlust
und löschte ihr Lämpchen mit Thränen.
5. Sie sank auf ihr ärmliches Lager dahin
in hoffnungslosem Verzagen,
verwirrt und zerrüttet an jeglichem Sinn,
an jeglichem Gliede zerschlagen.
6. Doch stärkte kein Schlaf sie von Abend bis früh;
schwer abgemüdet, im Schwalle
von ängstlichen Träumen, erschütterten sie
die Schläge der Glockenubr allo.
7. Früh that ihr des Hirtenhornes Getön
ihr Elend von neuem zu wissen.
„O wehe, nun hab' ich nichts aufzustehn!“ —
So schluchzte sie nieder ins Rissen.
8. Sonst weckte des Hornes Geschmetter ihr Herz,
den Vater der Güte zu preisen.
Jetzt zürnet und hadoert entgegen ihr Schmorz
dem Pfleger der Witwen und Waisen.
9. Und horch! Auf Ohr und auf Horz wie ein Stein
fiel's ihr mit dröhnendem Schalle;
ihr rieselt' ein Schauder durch Mark und Gebein:
Es dünkt' sie wie Brüllen im Stalle.
10. „O Himmel! Verzeihe mir jegliche Schuld
und ahnde nicht meine Verbrechen!“
Sie wähnt, es erhübe sich Geistertumult,
ihr sträfliches Zagen zu rächen.
I1. Kaum aber hatte vom schrecklichen Ton
sich mählich der Nachhall verloren,
so drang ihr noch lauter und deutlicher sehon
das Brüllen vom Stalle zu Ohren.
12. „Barmherziger Himmel, erbarme dieh mein
und halte den Bösen in Banden!“
Tief barg sie das Haupt in die Rissen hinein,
dass Hören und Sehen ihr schwanden.