Full text: Für die oberen Stufen mehrklassiger Schulen (Teil 2, [Schülerbd.])

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XXIII. Friedrich von Schiller. 
(1759 1805.) 
141. Die Worte des Glaubens. 
Drei Worte nenn' ich euch, inhaltschwer, 
sie gehen von Munde zu Munde; 
doch stammen sie nicht von außen her, 
das Herz nur giebt davon Kunde. 
Dem Menschen ist aller Wert geraubt, 
wenn er nicht mehr an die drei Worte 
glaubt. 
Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, 
und würd' er in Ketten geboren; 
laßt euch nicht irren des Pöbels Geschrei, 
nicht den Mißbrauch rasender Thoren! 
Vor dem Sklaven, wenn er die Kette 
bricht, 
vor dem freien Menschen erzittert nicht. 
Und die Tugend, sie ist kein leerer 
Schall, 
der Mensch kann sie üben im Leben, 
und sollt er auch straucheln überall, 
er kann nach der göttlichen streben, 
und was kein Verstand der Verständigen 
sieht, 
das übet in Einfalt ein kindlich Gemüt. 
Und ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt, 
wie auch der menschliche wanke; 
hoch über der Zeit und dem Raume 
webt 
lebendig der höchste Gedanke; 
und ob alles im ewigen Wechsel kreist, 
es beharret im Wechsel ein ruhiger Geist. 
Die drei Worte bewahret euch, inhalt— 
schwer; 
sie pflanzet von Munde zu Munde! 
Und stammen sie gleich nicht von außen 
her, 
euer Innres giebt davon Kunde. 
Dem Menschen ist nimmer sein Wert 
geraubt, 
so lang' er noch an die drei Worte glaubt. 
142. Der Alpenjäger. 
Willst du nicht das Lämmlein hüten? 
Lämmlein ist so fromm und sanft, 
nährt sich von des Grases Blüten, 
spielend an des Baches Ranft. 
„Mutter, Mutter, laß mich gehen, 
jagen nach des Berges Höhen!“ 
Willst du nicht die Herde locken 
mit des Hornes munterm Klang? 
Lieblich toͤnt der Schall der Glocken 
in des Waldes Lustgesang. 
„Mutter, Mutter, laß mich gehen, 
schweifen auf den wilden Höhen!“ 
Willst du nicht der Blümlein warten, 
die im Beete freundlich stehn? 
Draußen ladet dich kein Garten; 
wild ist's auf den wilden Höh'n! 
„Laß die Blümlein, laß sie blühen! 
Mutter, Mutter, laß mich ziehen!“ 
Und der Knabe ging zu jagen, 
und es treibt und reißt ihn fort, 
rastlos fort mit blindem Wagen 
an des Berges finstern Ort. 
Vor ihm her mit Windesschnelle 
flieht die zitternde Gazelle. 
Auf der Felsen nackte Rippen 
klettert sie mit leichtem Schwung, 
durch den Riß geborstner Klippen 
trägt sie der gewagte Sprung. 
Aber hinter ihr verwogen 
folgt er mit dem Todesbogen. 
Jetzo auf den schroffen Zinken 
hängt sie, auf dem höchsten Grat, 
wo die Felsen jäh versinken, 
und verschwunden ist der Pfad; 
unter sich die steile Höhe, 
hinter sich des Feindes Nähe.
	        
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