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die Sprache war gebrochen, das Gehör verloren; er kannte niemand mehr
und nahm weder Speise noch Trank zu sich. — Erschrocken stand Luther
einige Augenblicke am Bette und vermochte kein Wort zu sagen. Endlich
rief er: „Behüte Gott! wie hat der Teufel dieses Werkzeug Gottes ge—
schändet.“ Dann wandte er sich zum Fenster und betete mit himmel—
stürmender Gewalt: „Lieber Gott, ich werf's dir vor die Füße. Es ist
ja nicht meine Sache, sondern deine. Du Gott im Himmel, lebst du
nicht mehr, hörst du nicht mehr?“ — Nachdem er, wie er später selbst
sagte, dem lieben Gott alle Verheißungen des Gebets vorgehalten, wandte
er sich mit freudiger Zuversicht zu Melanchthon, faßte ihn bei der schon
kalten Hand und sprach: „Seid getrost, Philippe, Ihr werdet nicht
sterben! Gebet dem Trauergeiste nicht Raum, sondern verlasset Euch auf
den Herrn, der kann töten und lebendig machen.“
Wunderbar wirkte das Wort. Melanchthon fing wieder an, Odem
zu holen. Bald erkannte er seinen Freund, und sichtlich nahmen seine
Kräfte wieder zu. Er schrieb später von diesem Ereignis: „Ich ward
in Thüringen von einer schrecklichen Krankheit befallen und wäre gestorben,
wenn ich nicht durch Dr. Luthers Ankunft aus dem Tode wäre gerissen
worden.“ — Luther selbst aber erklärte: „Ich habe unsern Philippum
vom Tode erbeten.“
72. Wie schön leuchtet der Morgenstern.
nach meinem Haus; dort steigt er ab!
Kauͤm bin ich unten, schreit er: „Lauf,
schließ mir geschwind die Kirche auf!“
Ich bat: „Bedenkt, 's ist Gottes Gut,
was man vbertraut hat meiner Hut,
und Kirchenraub bestraft sich schwer.“
Doch er schrie wild: „Was schwafelt er?
Flink aufgeschlossen, sonst soll ihn!“ —
Schon wollt' er seinen Säbel ziehn,
da dacht' ich bang an Weib und Kind
und öffnete die Thür geschwind
und trat dann zagend mit ihm ein;
mein Weib schlich weinend hinterdrein.
Er ging vorüber am Altar,
hinauf dann, wo die Orgel warz;
da stand er still: „Gesangbuch her!
Hier den Choral da spielet er,
und daß sie brav die Bälge tritt!
Marschl vorwärts jetzt und zögert nit!“
Ich fing mit einem Vorspiel an,
wie ichs mein Lebetag gethan.
Da fiel der Alte grimmig ein:
„Was soll mir das Geklimper sein?
Wie schön leuchtet der Morgenstern!
Hab' doch kein andres Lied so gern!
Mit Thrünen füllt sich jedesmal
mein Auge, spiel' ich den Choral.
s war damals, als der alte Fritz
noch stritt um Schlesiens Besitz;
hier in den Schluchten lag sein Heer,
der Feind dort auf den Höhn umher.
Da sah's im Dorf gar übel aus,
die Scheuern leer, kein Brot im Haus,
im Staͤlle weder Pferd noch Kuh,
und vor dem Feind die Furcht dazu.
So hatt' ich eben eine Nacht
mit Seufzen und Gebet durchwacht
und stieg beim ersten Morgengraun
den Turm hinauf, um auszuschaun,
wie's draußen stünd'; 's war still umher,
und ich sah keine Feinde mehr.
Da zog ich still mein Käpplein ab,
dem lieben Gott die Ehre gab.
Horch! plötzlich trabt's ins Dorf herein,
der Himmel woll uns gnädig sein!
Ein aͤlter Schnauzbart jagt im Trab