Full text: Deutsches Lesebuch für ein- und zweiklassige Schulen

244 
Knochen. Wenn’s nicht weiter geht, sollen Sie die erste sein, 
die uns zur Hilfe kommen soll." 
„Ihr seid ein hartnäckiger Gesell, Tellering," antwortete das 
Freifräulein, ihren Krückstock auf den Boden stoßend. 
Ludwigs Augen schossen nach solchen Worten seines Vaters 
stolze Blitze, und das Handwerksgerät schien in seinen Händen 
ein eignes Leben zu gewinnen. Glücklich der Mann, der im 
Kampfe gegen das Elend, in jedem Kampfe des Lebens auf solche 
Zauberwaffen vertraut, sie zerbrechen zu allerletzt.-— 
6. Wochen waren vergangen, Johannes sollte nun nicht lange 
mehr leiden. Nun lag der wackre Kämpfer ausgestreckt, still 
auf seinem Lager; er hatte Ruhe, es war, als spiele ein Lächeln 
des Triumphes um die bleichen Lippen. In ihrer Kammer weinten 
Mutter und Tochter. Aus der Werkstatt erschallte kraftvoll der 
Hammerschlag Ludwigs; der Sohn vollendete eben den Sarg des 
Vaters. Er machte meisterliche Arbeit, es mußte der trefflichste 
Sarg werden, den er jemals angefertigt hatte. So maß er denn 
und behobelte die guten Bretter, auf denen des Vaters Augen 
so oft geruht hatten; es war ihm während der Arbeit, ais ruhten 
sie noch immer darauf, und er bestrebte sich mit fieberhaftem 
Eifer, daß das Stück ohne Fehl und Tadel, ein gutes, wackres 
Schreinermeisterstück, zustande komme. 
Wilhelm Raabe. 
187. Die alte 
1. Du siehst geschäftig bei dem 
Linnen 
die Alte dort in weißem Haar, 
die rüstigste der Wäscherinnen 
im sechsundsiebenzigsten Jahr. 
So hat sie stets mit sauerm 
Schweiß 
ihr Brot in Ehr’ und Zucht ge-' 
gessen 
und ausgefüllt mit treuem Fleiß 
den Kreis, den Gott ihr zuge¬ 
messen. 
2. Sie hat in ihren jungen Tagen 
geliebt, gehofft und sich ver¬ 
mählt; 
sie hat des Weibes Los getragen, 
die Sorgen haben nicht gefehlt; 
Waschfrau. 
sie hat den kranken Mann ge¬ 
pflegt, 
sie hat drei Kinder ihm geboren, 
sie hat ihn in das Grab gelegt 
und Glaub’ und Hoffnung nicht 
verloren. 
Da galt’s, die Kinder zu er¬ 
nähren ; 
sie griff es an mit heiterm Mut, 
sie zog sie auf in Zucht und 
Ehren, 
der Fleiß, die Ordnung sind ihr 
Gut. 
Zu suchen ihren Unterhalt, 
entließ sie segnend ihre Lieben, 
so stand sie nun allein und alt, 
ihr war ihr heitrer Mut ge¬ 
blieben.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.