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und übermütiger Mann, dabei beliebt beim Heere und als Konsul von
großem Ansehen beim Volke. Brutus aber hatte sich widersetzt, indem er
hoffte, er würde sich nach Cäsars Tode an ihre Sache anschließen. So
ward er durch diesen gerettet; damals aber im ersten Schrecken entfloh
er in gemeiner Kleidung. — Jetzt zogen Brutus und seine Freunde mit
blutbefleckten Händen auf das Kapitolium und riefen die Bürger zur
Freiheit auf. Zuerst enstand große Verwirrung und Bestürzung in der
Stadt und ängstliches Schreien und Hin- und Herlaufen. Da aber kein
Mord weiter noch Plünderung erfolgte, faßte man wieder Mut, es kamen
die Senatoren und viele Bürger aufs Kapitolium, und vor der versam—
melten Menge sprach Brutus eine angemessene Rede, die das Volk ge⸗
winnen konnie. Äls ian ihm Beifall gab und die Männer einlud, herab⸗
zukommen auf den Markt, kamen sie voll Vertrauen, und Brutus sprach
hon der Rednerbühne zum Volke, das ihm in Ordnung und Ruhe zuhörte.
Als aber nach ihm Cinna auftrat, den Cäsar anzuklagen, äußerte es
Zorn und Unwillen, so daß sich jene aufs Kapitolium zurückzogen. Am
folgenden Tage ward der Senat versammelt, Antonius und Cicero er—
mahnten zur Eintracht und Versöhnung. Die Versammlung stimmte ihnen
bei, man berief die Verschworenen vom Kapitolium und vereinigte sich
in freundlicher Begrüßung und gegenseitiger Bewirtung.
40. Morgenlied.
Friedrich von Schiller. Sämtl. Werke. 6. Band. Stuttgart u. Tübingen, 1847.
Verschwunden ist die finstre Nacht, 2 Lob sei dem Herrn und Dank gebracht,
Die Lerche schlägt, der Tag erwacht, Der über diesem Haus gewacht,
Die Sonne kommt mit Prangen Mit seinen heil'gen Scharen
Am Himmel aufgegangen. Uns gnädig wollt' bewahren!
Sie scheint in Königs Prunkgemach, Wohl mancher schloß die Augen schwer
Sie scheinet durch des Bettlers Dach, Und öffnet sie dem Licht nicht mehr;
Und was in Nacht verborgen war, Drum freue sich, wer, neu belebt,
Das macht sie kund und offenbar. Den frischen Blick zur Sonn' erhebt!
41. Die Boten des Todes.
Brüder Grimm. Kinder- u. Hausmärchen. Gr. Ausg. 14. Aufl. Berlin, 1876.
Vor alten Zeiten wanderte einmal ein Riese auf der großen Land⸗
straße, da sprang ihm plötzlich ein unbekannter Mann entgegen und rief:
„Halt! keinen Schritt weiter!“ ‚Was,“ sprach der Riese, „du Wicht,
den ich zwischen den Fingern zerdrücken kann, du willst mir den Weg
vertreten? Wer bist du, daß du so keck reden darfst?“ „Ich bin der Tod,“
erwiderte der andere, „mir widersteht niemand, und auch du mußt meinen
Befehlen gehorchen.“ Der Riese aber weigerte sich und fing an mit dem
Tode zu ringen. Es war ein langer heftiger Kampf, zuletzt behielt der
Riese die Oberhand und schlug den Tod mit seiner Faust nieder, daß er