253. Die Lachtaube und der Pudel.
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rei ins Angesicht sehen? Wohl wahr! Aber ich wäre doch auf
einmal ein reicher Mensch, könnte schöne Kleider tragen, hätte alle Tage
bollauf zu essen und zu lrinken. Und wenn ich nun entdeckt würde?
Uber wie könnt' ich entdeckt werden? Es sieht's ja niemand. Niemand?
Sieht denn aber Gott es nicht, der an allen Orten zugegen ist? Kannst
du jemals wieder zu ihm beten, wenn du den Diebstahl begangen haben
birst? Würdest du wohl ruhig sterben können? Bei diesen Worten
lberlief ihn ein eiskalter Schauer. Nein, sagte er, indem er die
Diamanten wieder hinwarf, lieber arm und ein gut Gewissen als reich
und ein Bösewicht! Und mit diesen Worten eilte er auf dem Wege
zurück, auf dem er gekommen war.
Die Prinzessin, deren Schlafgemach das Nebenzimmer war, hatte
woch gewacht, hatte alles mit angehört und den Knaben selbst beim
Mondschein⸗ erkannt. Sie ließ ihn am folgenden Tage zu sich kommen.
„öre, Kleiner,“ sagte sie zu ihm, da er zu ihr ins Zimmer trat,
Warum nahmst du denn gestern die Uhr und die Diamanten nicht?
dh habe alles gehört,“ fuhr die Prinzessin fort; „danke Gott, mein
Sohn, daß er dir half, der Versuchung zu widerstehen, und bemühe
ih, ferner deine Tugend zu erhalten! Von nun an sollst du bei mir
bleiben, ich will dich nähren und kleiden lassen; aber ich will noch
nehr für dich thun, ich will dich ordentlich unterrichten und erziehen
sen, damit dir künftig auch nicht einmal der Gedanke an eine solche
Ubelthat einfallen möge.“ Dem Knaben stürzten heiße Thränen aus
den Augen; er wollte danken, aber er konnte nicht, er konnte nur schluchzen.
die Prinzessin hielt, was sie versprochen hatte. Der Knabe wurde
qut erzogen, und seine Wohlthäterin hatte die Freude, ihn zu einem
braven, frommen und geschickten Manne aufwachsen zu sehen.
Campe.
253. (257.) Die Lachtaube und der Pudel.
Eine LCachtaube sah, daß ein Pudel von ungeführ auf einem Stege
sehltrat und ins Wasser stel. Die Taube lachte darüber laut; aber der
Pudel, der sich leicht durch Schwimmen ans Ufer rettete, war mit ihr sehr
unufrieden.
„Wie könnt' ich nur über so was lachen?“ sprach ex.
Märrchen.“ versehte die Taube, „der Vorfall lief ja von deiner Seite
lan ohne Gefahr ab.“
„Das wohl,“ erxwiderte der Hund; „aber Schadenfrende war es von
einer Seite doch.“
Duyk.
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