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O. Deutsches Land und Volk.
9. Deutsches Cand und Volk.
91. Der frohe Wandersmann.
1. Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
den schickt er in die weite Welt;
dem will er seine Wunder weisen
in Berg und Wald und Strom und ZFeld.
2. Die Bächlein von den Bergen springen,
die Lerchen schwirren hoch vor Lust;
was sollt' ich nicht mit ihnen singen
aus voller Kehl' und frischer Brust?
3. Den lieben Gott lass' ich nur walten;
der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld
und Erd' und Zimmel will erhalten,
hat auch mein' Sach' aufs best' bestellt.
Joseph Freiherx von Gichendorff.
92. Im Spreevwalde.
1. Es ist ein frischer, duftiger Morgen am Anfange des Juni.
Die Sonne spiegelt sich in den unzähligen Wasserstraben, die weite,
üppige Wiesenflächen und fruchtbare Pelder wie dieé Maschen eines
Netzes kreuzweise durchziehen. Schnell und lautlos gleitet unser
Kahn über das blitzende Wasser dahin; ein krüftiger, schmucker
Bursche steht am Hinterteile des Pahrzeuges und schiebt es durch
eins lange Stange geschickt weiter. Wir sind im wendischen Spreewalde.
Wir gleiton an einzelnen zerstreut liegenden Bauernhäusern vor—
über, die höchst schmucklos aus Hol- gezimmert und mit Robr be-
deckt sind. Die Bewohner sind fast sümtlich auf den Ackern thütig.
Es sind derbe und frische Gestalten mit blondẽém Haar, blauen Augen
und runden, gutmütigen Gesichtern. Die Männer sind in grobe, graue
Leinwand gekleidet. Die DTracht der Frauen ist malerisch bunt: rot
und blau und gelb gestreifte Röcke, weiße, aufgeschürzte Hemd-—
ärmel und ein rot und gelb geblümtes Kopftueh, leicht zum Schutze
gegen die Sonne um den Kopf geschlungen. Auf Schuhe und
Strümpfe verzichtet der Spreewälder während des ganzen Sommers.