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„Schäme dich!“ strafte sie die Alte. „Spott über einen Unglück—
lichen, selbst wenn es unser Todfeind sein sollte, verrät ein Herz, das
eines gleichen Unfalls würdig wäre.“ A. G. Meißner.
178. Der Dornbusch.
Den Dornbusch fragte die Weide:
„Was raufst du dem Lämmlein die Wolle
aus?
Du machst dir doch kein Kleid daraus!“
„Srau Nachbarin, o saget mir klar,
woher die Wolle so warm und gut
fürs Nest der kleinen zarten Brut?“
Ich bedarf sie wohl nicht zum Kleide“,
versetzte der Strauch, ‚doch freut es mich,
sie auszuraufen; — was kümmert's dich?
So sprach im Sruhling zur Schwalbe
der Star.
Drauf jene: „Gerne vertrau ich's dir,
der alte Dornbusch gab sie mir“.
Dem Dornbusch gleicht mancher Bösewicht:
er nützt uns und weiß und will es nicht.
J. Steinbauer.
179. Deutscher Rat.
I. Vor allem eins, mein Kind: Sei treu und wahr!
Lab nie die Lüge deinen Mund entweih'n!
Von alters her im deutschen Volke war
der höchste Ruhm, getreu und wahr zu sein.
2. Du bist ein deutsches Kind, so denke dran!
Noch bist du jung, noch ist es nicht so schwer.
Aus einem Knaben aber wird ein Mann, —
das Bäumchen biegt sich, doch der Baum nicht mehr.
3. Sprich ja und nein und dreh' und deutle nicht!
Was du berichtest, sage kurz und schlicht!
Was du gelobest, sei dir höchste Pflicht!
Dein Wort sei heilig, drum verschwend' es nicht!
4. Leicht schleicht die Lüge sich ans Herz heran,
zuerst ein Zwerg, ein Riese hintennach;
doch dein Gewissen zeigt den Feind dir an,
und eine Stimme ruft in dir: „Sei wach!“
5. Dann wach' und kämpf'! Es ist ein Feind bereit,
die Lüg in dir, sie drohet dir Gefahr.
Kindl Deutsche kämpften tapfer allezeit,
du, deutsches Kind, sei tapfer, treu und wahr!
R. Reĩinick.