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181. Der Arme und der Reiche.
Thüre steht ein Mann mit einem Messer, der hat mich in's Bein ge¬
stochen, und ans dem Hofe liegt ein schwarzes Ungethüm, das hat mit
einer Holzkeule auf mich losgeschlagen, und oben auf dem Dache, da
sitzt der Richter, der rief: „Bringt mir den Schelm her!" Da machte
ich, daß ich fortkam." Von nun an getrauten sich die Räuber nicht
weiter in das Haus; den vier Bremer Musikanten gefiel's aber so wohl
darin, daß sie nicht wieder heraus lvollten. Und der das zuletzt erzählt
hat, dem ist der Mund noch warm. Brüder Grimm.
181. (183.) Der Arme und der Reiche.
Hör alten Zeiten, als die Engel auf Erden unter den Menschen
wandelten, trug es sich zu, daß einer eines Abends müde war und ihn
die Nacht überfiel, ehe er zur Herberge kommen konnte. Da standen
aber auf dem Wege vor ihm zwei Häuser einander gegenüber, eins groß
und schön, das andere klein und ärmlich anzusehen, und gehörte das
eine einem reichen, das andere einem armen Manne. Der Engel dachte,
dem Reichen werde ich nicht beschwerlich fallen, und klopfte bei ihm an
die Thür. Da machte der Reiche sein Fenster auf und fragte, was er
wolle. — „Ein Nachtlager." — Der Reiche guckte ihn an vom Haupt
bis zu den Füßen, und weil der Engel schlichte Kleider trug und nicht
aussah wie einer, der viel Geld in der Tasche hat, schüttelte er mit dem
Kopfe und sprach: „Ich kann euch nicht aufnehmen, meine Kammern
liegen voll Samen, und sollte ich jedermann Herbergen, der an meine
Thüre klopft, so müßte ich selber bald fortgehen; sucht euch anderswo
ein Unterkommen!" — schlug damit sein Feilster zu und ließ den Engel
stehen. Also kehrte ihm der den Rücken, ging hinüber nach dem kleinen
Hause und klopfte an. Sogleich klinkte auch schon der Arme sein Thürchen
auf und bat den Wandersmann einzutreten und bei ihm die Nacht
überzubleiben. „Es ist schon finster," sagteer, „und heute könnt ihr
doch nicht weiter kommen." Das gefiel dem Engel und er trat ein;
die Frau des Armen reichte ihm die Hand, hieß ihn willkommen und
sagte, er möchte sich's bequem machen und fürlieb nehmen; sie hätten
nicht viel, aber was es wäre, gäben sie von Herzen gern. Dann setzte
sie Kartoffeln an's Feuer, und derweile sie kochten, melkte sie ihre Ziege,
damit sie ein bißchen Milch dazu hätten. Und als der Tisch gedeckt
war, setzte sich der Engel zu ihnen und aß mit, und schmeckte ihm die
schlechte Kost gut; denn es waren vergnügte Gesichter dabei. Wie sie
gegessen hatten und die Zeit zum Schlafen war, rief die Frau heimlich