103. Das Abenteuer im Walde.
1. Es regnete, was vom Himmel herunter wollte. Die Tan-
nen schüttelten den Kopf und sagten zueinander: „Wer hätte am
Morgen gedacht, daß es so kommen würde!“ Es tropfte von den
Bäumen auf die Sträucher, von den Sträuchern auf das Farnkraut
und lief in unzähligen kleinen Bächen zwischen dem Moose und den
Steinen. Am Nachmittag hatte der Regen angefangen, und nun
wurde es schon dunkel, und der Laubfrosch, der vor dem Schlafen¬
gehen noch einmal nach dem Wetter sah, sagte zu seinem Nachbar:
„Vor morgen früh wird es nicht aufhören.“
2. Derselben Ansicht war eine Ameise, die bei diesem Wetter im
Walde spazieren ging. Sie war am Vormittag mit Eiern in Tannen¬
berg auf dem Markte gewesen und trug jetzt das dafür gelöste
Geld in einem kleinen blauen Leinwandbeutel nach Hause. Bei
jedem Schritte seufzte und jammerte sie. „Das Kleid ist hin“,
sagte sie, „und der Hut auch! Hätt’ ich nur den Regenschirm
nicht stehen lassen, oder hätt’ ich wenigstens die Überschuhe an¬
gezogen! Aber mit Zeugschuhen in solchem Regen ist gar kein
Weiterkommen!“
3. Während sie so sprach, sah sie gerade vor sich in der Däm¬
merung einen großen Pilz. Freudig ging sie darauf zu. „Das paßt,“
rief sie, „das ist ja ein Wetterdach, wie man es sich nicht besser
wünschen kann. Hier bleib’ ich, bis es aufhört zu regnen. Wie es
scheint, wohnt hier niemand — desto besser! Ich werde mich so¬
gleich häuslich einrichten.“ Das tat sie denn auch. — Sie war eben
daran, das Regenwasser aus den Schuhen zu gießen, als sie bemerkte,
daß draußen eine kleine Grille stand, die auf dem Rücken ihr Vio-
linchen trug. „Hör', Ameischen,“ hub die Grille an, „ist es erlaubt,
hier unterzutreten?“ — „Nur immer herein!“ erwiderte die Ameise,
„es ist mir lieb, daß ich Gesellschaft bekomme.“ — „Ich habe heute“,
sagte die Grille, „im Heidekrug zur Kirmes aufgespielt. Es ist ein
bißchen spät geworden, und nun freue ich mich, daß ich hier die
Nacht bleiben kann. Das Wetter ist ja schrecklich, und wer weiß,
ob ich noch ein Wirtshaus offen finde.“
4. Also trat Grillchen ein, hing sein Violinchen auf und setzte
sich zur Ameise. Noch nicht lange saßen sie da, als sie in der Ferne
ein Lichtchen schimmern sahen. Als es näher kam, erkannten sie
es als ein Laternchen, das ein Johanniswürmchen in der Hand trug.