Full text: Deutsches Lesebuch ([Teil 3 = 5. und 6. Schulj, [Schülerbd.]])

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II. Prosa. 
Am 12. September war der Hüttenbau beendigt. Um ihren 
Fleischproviant möglichst lange zu erhalten, lebten sie vier Tage in 
der Woche vom Abfall des Walfischspecks, der in reichlicher Menge 
umherlag. 
Vom 14. Oktober bis zum 3. Februar sahen sie keine Sonne, 
und vom 1. bis zum 20. Dezember keine Dämmerung. Das neue 
Jahr meldete sich mit furchtbarer Kälte ; das Metall klebte an ihren 
Fingern wie Vogelleim; wenn sie sich der schneidenden Luft aussetzten, 
erhob sich die unbedeckte Haut in Blasen, und wenn die Notwendig— 
keit sie zwang, Schnee oder Wasser zu holen, kehrten sie wund und 
zerschlagen zurück. 
Als am 3. Februar die Sonne wieder erschien und die höchsten 
Bergspitzen beleuchtete, war es ihne.n, als ob der Anblick sie vom 
Tode zu neuem Leben erweckte. Zur Vermehrung ihrer fröhlichen 
Stimmung sahen sie zwei Bären auf dem Eise, von welchen sie einen 
glücklich erlegten. 
Anfangs März gingen ihre Vorräte auf die Neige; doch nun 
kamen auch die Eisbären häufiger zum Vorschein und verschafften 
ihnen genugsame Nahrung. Bald meldeten sich auch die Zugvögel; 
die Füchse krochen aus ihren Höhlen, und manche dieser Tiere wurden 
in Fallen gefangen. 
Am 24. Mai brach die Eisdecke auf dem Meere, und den folgenden 
Tag war schon die halbe Bucht gesäubert. Es erhob sich nun ein 
starker Wind, und die kleine Gesellschaft suchte den Schutz ihrer Hütte. 
Dort saßen sie gemütlich am Feuer unter Erzählung vom überstandenen 
Winter und der baldigen Erlösung, — als plötzlich ein lautes eng⸗ 
lisches „Halloo boys“ erschallte. Schnell sprangen sie auf und ins 
Freie; — kaum trauten sie ihren Augen, denn es begrüßten sie ihre 
Freunde, und das wohlbekannte Schiff lag ruhig auf dem Busen 
des Fjords. So trafen die braven Leute, nach zehnmonatlichem 
Aufenthalt unter dem 77. Breitegrade, in frischer Gesundheit glück— 
lich wieder mit den Ihrigen zusammen. 
Da die Möglichkeit, auf Spitzbergen zu überwintern, nun außer 
Zweifel gesetzt war, entschloß sich bald darauf eine Gesellschaft von 
sieben Holländern, das unfreiwillige Beispiel der Engländer freiwillig 
nachzuahmen und die lange Nacht der arktischen Zone auf der kleinen 
Amsterdam⸗Insel zuzubringen; doch minder glücklich als ihre Vor— 
gänger fielen sie sämtlich dem Skorbut zum Opfer. In einem hinter⸗ 
lassenen Tagebuche fand man die rührende Geschichte ihrer Leiden.
	        
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