Full text: Deutsches Lesebuch ([Teil 3 = 5. und 6. Schulj, [Schülerbd.]])

IV. Bilder aus der Erd- und Völkerkunde. 
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„Vier von uns,“ so lauteten die letzten Worte, „sind noch am Leben, 
flach auf den Boden hingestreckt, und könnten wohl noch essen, wenn 
einer von uns sich nur aufzuraffen vermöchte, um Speise und Brenn— 
holz zu holen; doch sind wir vor Schmerzen und Mattigkeit nicht im— 
stande, uns zu rühren. Wir beten beständig zum Himmel, daß er 
uns bald erlöse, und lange können wir gewiß nicht mehr leben ohne 
Nahrung und Wärme. Keiner ist fähig, dem andern zu helfen, und 
jeder muß seine Last tragen, so gut er kann.“ 
Seit jener Zeit scheinen sowohl Holländer als Engländer alle 
ferneren Versuche, feste Ansiedelungen auf Spitzbergen zu gründen, 
aufgegeben zu haben; doch vergeht fast kein Jahr, daß nicht einige 
Russen den langen Winter dort zubringen. Georg Hartwig. 
208. Das Hospiz zu St. Bernhard. 
Die höchste Menschenwohnung der alten Welt liegt 7680 Fuß 
über dem Meere auf einem traurigen Gebirgssattel, wo in der nächsten 
Nähe des ewigen Schnees ein acht- bis neunmonatlicher Winter herrscht. 
Das Thermometer steht gar oft 220 R. unter dem Gefrierpunkt, 
während in den heißesten Sommermonaten jeden Morgen und 
Abend das Wasser zu Eis erstarrt, und im ganzen Jahre kaum zehn 
helle Tage ohne Sturm und Schneegestöber oder Nebel kommen. 
Dort fallen bloß im Sommer große Schneeflocken, im Winter dagegen 
gewöhnlich trockene, kleine, zerreibliche Eiskrystalle, die so fein sind, 
daß der Wind sie durch jede Thür- oder Fensterfuge zu treiben ver— 
mag. Diese häuft der Sturm oft, besonders in der Nähe des 
Hospizes, zu 20—380 Fuß hohen, lockeren Schneewänden an, die alle 
Pfade und Schlünde bedecken und beim geringsten Anstoß als Lawinen 
in die Tiefe stürzen. 
Über diesen alten Bergpaß zogen schon im Altertum die Kriegs— 
völker; Augustus machte ihn zu einer Heerstraße; Kaiser Konstantinus 
besetzte ihn mit Meilensteinen; die Römer, die Langobarden, Franken 
und Deutschen überstiegen ihn häufig, und die Spuren eines dem 
Jupiter geweihten Tempels sind dort noch vorhanden. Die Reise über 
den Berg ist nur im Sommer bei klarem Wetter ganz gefahrlos; 
bei stürmischem Wetter dagegen und im Winter, wo die vielen 
Spalten und Klüfte von Schnee verhüllt sind, ist sie dem fremden 
Wanderer ebenso mühselig wie gefahrdrohend. Alljährlich fordert der 
Berg eine Anzahl von Opfern, die in einer besonderen Totenkammer 
aufbewahrt und ausgestellt werden. Bald fällt der Pilger in eine
	        
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