V. Aus der Natur.
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Mein Vater stand eines Tages am offenen Fenster und sah einer
bauenden Schwalbe zu und bemerkte auch, wie hoch in der Luft ein
Sperber daherflog und hinter dem Hause verschwand. Aber wie er—
erstaunte er, als der fern geglaubte Räuber ganz nahe über das Dach
zurückstrich, eine rasche Wendung unter dem Vorsprung desselben
machte und das unbesorgte Schwälblein erhaschte. Er hatte also die
Gewandtheit und den scharfen Blick der Schwalbe gekannt und kam
deswegen nicht in gerader Linie auf sie los, denn da wäre sie ihm
wohl entwischt.
Im strengen Winter kommt der Sperber auch häufig in die Nähe
der menschlichen Wohnungen, da die meisten kleineren Vögel, von denen
er lebt, sich dahin gezogen haben.
Und was müssen da die armen Sperlinge herhalten! Tief schlägt
er die Krallen in das Fleisch des unglücklichen Gefangenen, der, unter
Zuckungen bittend zu ihm aufsehend, sein Leben aushaucht. Dann
läßt sich der Räuber im Schnee oder auf einen Pfosten nieder, und
von dem ganzen armen Spatz bleiben nur die größeren Federn und
die Füße übrig. Selbst die Knochen verschluckt der heißhungrige
Mörder.
Friedrich Noll.
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