21
10. Gefahr und Rettung. O
Ich mochte etwa zehn Jahre alt sein, da schickte mich meine
Mutter in den Keller, um einen Krug Wein heraufzuholen; denn es
war eben die Erntezeit, und der Wein sollte den Schnittern auf das
Feld gebracht werden. Ich war immer frohen Gemütes und sprang
fast mehr, als ich ging; und da ich mich in dem dunkeln Keller fürchtete
und mir Herz machen wollte, sprang und tanzte ich noch ärger als
sonst. Nun ist Harrach, wo ich geboren bin, auf alte Schachte gebaut,
die aber seit Jahren verfallen sind. Um den ganzen Ort liegt das
Gestein des eingegangenen Bergwerks, und in manchen Häusern sind
halb offene Gänge, die man zum Teil zu Kellern eingerichtet hat.
Auch unser Haus war auf einen Schacht gebaut, was aber niemand
wußte, oder woran niemand dachte — ich weiß es nicht. Da ich
nun so herzhaft sprang und eben den Krug, der in der Ecke stand,
ergriffen hatte, tat sich die Erde unter mir auf, und ich sank — ich
weiß selbst nicht mehr wie — hinab. Ich hätte mich vielleicht halten
können; aber ich wollte den Krug nicht fahren lassen, den ich in der
Hand hielt, und so fuhr ich wohl haushoch in die Tiefe und wäre
in den Abgrund hinabgestürzt, hätte nicht ein Haken, der zur Be¬
festigung der Fahrten gedient haben mochte, meine Röcke ergriffen.
Da ich beim Hinabstürzen entsetzlich schrie, hörte meine Mutter, die
eben in der Küche beschäftigt war, mein Angstgeschrei und kam mit
einem Lichte herbeigelaufen; und da sie die Öffnung sah und mich
nicht fand, auch aus ihr Rufen keine Antwort bekam, mußte sie wohl
glauben, ich sei in der Tiefe umgekommen.
Meine Mutter hat mir oft erzählt, der Schreck habe sie so
außer sich gesetzt, daß sie mir fast nachgestürzt wäre. Es sei ihr
dunkel vor den Augen geworden; sie habe sich auf ihren zitternden
Knien kaum halten können; aber der Gedanke, daß doch vielleicht noch
Rettung möglich sei, habe ihr wieder Kraft gegeben. Sie eilte die
Treppe hinauf und rief um Hülfe; aber niemand hörte sie, da alles auf
dem Felde war. Erst da sie die Straße hinablief und immer ängstlich
schrie, hörten einige Nachbarinnen das Unglück, liefen herzu, sahen
händeringend in den Schacht hinab und wußten keine Hülfe.
Ich hatte beim Fallen das Bewußtsein verloren, und ich wäre
nur gar zu glücklich gewesen, wenn es nicht eher als nach meiner
Rettung zurückgekommen wäre. Aber ich kam nach einiger Zeit wieder
zu mir selbst. Wo ich war, wußte ich nicht; aber ich fühlte, daß ich