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„Ich mag ihn nicht," antwortete Eduard, „es wächst ja nichts
darauf!" — „O, wenn nichts darauf wächst," riefen Amalie und
Franz, „dann wollen wir ihn auch nicht!"
„Geben Sie den Baum mir," bat Julie; „der Vater wird
mir ein Plätzchen geben, wo ich ihn pflegen kann."
Julie bekam den jungen Lindenbaum, und ihr Vater wies
ihr eine Stelle im Garten an, wo sie denselben sich hinpflanzen
lassen durfte.
Das Mädchen freute sich über den Baum und half mit allem
Eifer ihn pflanzen. „Wie töricht du bist!" sagte Eduard, „der
Baum trägt dir im Leben kein Obst."
„Du gibst uns wohl von deinen Äpfeln und Birnen, wenn
dein Baum groß sein wird?" neckten Franz und Amalie.
„Was habt ihr doch?" antwortete Julie. „Wenn der Baum
auch kein Obst trägt, wenn er nur groß und grün wird, so bin
ich zufrieden."
Der Baum wuchs zusehends. Die Geschwister neckten wohl Julie
noch wegen des unfruchtbaren Baumes, aber er blieb ihr sehr lieb.
Einige Jahre hatte der Baum gestanden, als Julie mit ihren
Eltern und Geschwistern an einem Sommerabend noch spät im
Garten war.
„Was duftet denn hier so lieblich?" fragten die Kinder und
sogen den süßen Duft mit Wohlgefallen ein.
„Geht nur an Juliens Linde," antwortete der Vater, „da
werdet ihr's finden!"
Die Kinder gingen zur Linde. Je näher sie kamen, desto lieb¬
licher und stärker duftete es. — Es war Juliens Linde, von
welcher der Duft ausströmte. Der junge Baum hing überall voll
Blüten; während des Tages waren Blüten aufgebrochen, und jetzt
durchdufteten sie den ganzen Garten.
„O mein schöner, lieber Baum!" rief Julie ganz erfreut;
„seht ihr, er trägt wohl auch etwas, was euch gefällt!"
Am zweiten Tage war der Nachbar da. Julie führte ihn
zu ihrem Lindenbäumchen, und ihre Geschwister begleiteten sie.
„Sehen Sie," sagte Julie, „das ist der Baum, den Sie mir
einmal geschenkt haben."
Der Nachbar freute sich, daß der Baum schon so voll blühe.
Jetzt aber hörten die Kinder auch ein Summen und wußten nicht,
woher das kommen möchte.