Full text: Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen

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Die Gewinnung der Naphtha. 
schon im grauesten Altertum. Persische Priester zündeten das dunkle Öl, wo 
es ans der Erde hervorquoll, ihren Göttern zu Ehren an. Die alten Ägypter 
balsamierten ihre Toten mit Erdöl ein, und die Mauern von Babylon wurden 
mit Naphthamörtel gebaut, der ihnen eine besondere Festigkeit und Wider- 
standsfähigkeit gegen Witterungseinflüsse verlieh. Wenn die Naphtha in früheren 
Zeiten keine Verwendung fand, so lag dies daran, daß man es nicht verstand, 
aus dem Rohstoffe einen brauchbaren Brennstoff zu erzeugen. 
Die Wissenschaft vermag noch nicht mit völliger Sicherheit den Ur- 
sprung der Naphtha anzugeben. Neuerdings findet die Meinung viel Glauben, 
daß sie ungeheuren Mengen von Seetieren ihr Entstehen verdankt. Einem 
deutschen Gelehrten, Professor Engler, ist es nämlich gelungen, aus Fischen 
und Muscheln durch geeignete Destillation Petroleum zu erzeugen. Es läßt 
sich wohl denken, daß ganze Meere durch irgend einen Einfluß allmählich 
oder plötzlich eintrockneten; in der sich bildenden Salzlauge gingen die Wasser- 
tiere zu Grunde; dieses Massengrab wurde mit Schlamm überdeckt, und aus 
dem Fette der Tierleichen bildete sich bei entsprechendem Drucke und infolge 
der dadurch herbeigeführten Wärmeentwickelung das Erdöl. 
Gegenwärtig wird der Petroleumbedarf der ganzen Erde durch die 
Naphthaquellen Nordamerikas und des Kaukasus gedeckt. In technischer 
Hinsicht am vollkommensten wird die Gewinnung der Naphtha auf der 
Halbinsel Apscheron am Kaspischen Meer betrieben. Hier ist man schon 
vor vielen Jahren von dem Schachtbetriebe abgekommen und zur Bohrung 
übergegangen. Als Bohrwerkzeug dient ein stählerner Meißel, der an 
einem Seile oder einer Eisenstange hängt und durch Hand- oder Dampfkraft 
gehoben und fallen gelassen wird. So dringt er immer tiefer in die Erde 
ein. Das entstehende Bohrloch wird mit einem Eisenrohr ausgekleidet, damit 
das Erdreich nicht nachstürzen kann. Alsdann wird weiter gebohrt, bis man 
ein zweites Rohr nachschieben kann. Auf diese Weise dringt man 30—100 m 
in die Tiefe, bis man Naphtha antrifft. Nunmehr wird der Rohstoff entweder 
durch Schöpfgefäße,die an Seilen angebracht sind, oder durch Pumpen gefördert. 
Ein hohes Holzgerüst, der Bohrturm, dient zum Schutze der Geräte und 
Maschinen. 
Nicht selten kommt es vor, daß die Naphtha unter gewaltigem Druck 
als Springquell aus dem Schoße der Erde emporgeschleudert wird. Dauu ver¬ 
wüstet sie die ganze Umgebung, wenn man nicht beizeiten ihrer Herr werden 
kann. Im Jahre 1896 sah ich eine Naphthaquelle schlagen, die täglich etwa 
120000 Doppelzentner Naphtha lieferte. Bricht solch ein Springbrunnen 
unerwartet aus, und man weiß nicht, wohin mit dem braunen Naß, so kann 
der glückliche Quellenbesitzer, statt Millionen zu verdienen, ein Bettler werden; 
so viel hat er an Schadenersatz zu leisten. Manchmal kommt es auch vor, 
daß eine Naphthaquelle in Brand gerät. Ich hatte Gelegenheit, vor einiger 
Zeit eine mächtige Fontäne, die der Firma Rothschild gehört, brennen zu 
sehen. Es wäre vergebliche Mühe, dieses Schauspiel schildern zu wollen. 
Man denke sich eine mannsdicke Feuersäule etwa 200 m hoch in die Luft 
emporschießen und dabei ein donnerähnliches Geräusch verursachen. An ein 
Löschen ist in solchen Fällen nicht zu denken; denn auf 300 m Entfernung 
kann es kein Mensch vor Gluthitze aushalten. Die erwähnte Fontäne brannte 
zehn Tage lang, bis sie endlich von selber zu schlagen aufhörte. 
Die gewonnene Naphtha wird in großen Erdbecken aufbewahrt und je 
nach Bedarf durch Rohrleitungen 10—15 km weit nach Baku, der „schwarzen
	        
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