Full text: [Teil 5, [Schülerband]] (Teil 5, [Schülerband])

4. Ein Hausspruch. 
habe ich es für eine löbliche Sitte gehalten, das Haus 
einem sinnigen Spruche zu schmücken, und es freut 
h von Herzen, daß dieser Brauch, der eine Zeitlang ver- 
:t schien und zu verschwinden begann, neuerdings wieder 
Ehren gekommen ist. Manches neugebaute Haus trägt 
an seiner Stirn ein Zeichen des Sinnes, in welchemj der Besitzer es 
hat aufführen lassen, und den er\mit dem Hause auf Kinder und 
Kindeskinder zu vererben wünscht. 
Bor einigen Jahren kam ich in ein Dorf unweit der Weser, 
wo es wenige Häuser gab, an denen nicht der Balken über der 
Tür oder ein eingemauerter Stein dem Eintretenden ein erbauliches 
oder belehrendes Wort entgegengerufen hätte. Es waren größten¬ 
teils Inschriften, wie man sie auch sonst zu finden Pflegt. Ich/ las: 
„An Gottes Segen ist alles gelegen", „Unsern Eingang segne Gott, 
unsern Ausgang gleichermaßen", „Der Herr beschütze dieses Haus 
und die hier gehen ein und aus" und Sprüche ähnlichen Inhalts. 
Einer derselben, in plattdeutscher Mundart abgefaßt, nahm sogar eine 
fast trotzige Wendung: „Wat frag' ick na de Lü' — Gott helpet mi!" 
Ganz besonders aber zog mich ein Wort an, das ich mit goldenen 
Buchstaben über der großen Tür eines / auffallend stattlichen und 
sauberen Bauernhauses hart am Ende des Dorfes fand: 
Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. 
Psalm 126, Vers 5. J 
„Gewiß hat diese Inschrift eine ganz besondere Veranlassung 
und Bedeutung," dachte ich und blieb eine Weile vor dem Hause 
stehen, ehe ich meinen Weg nach dem nächsten Dorfe fortsetzte. Während 
ich noch sann, ging der Pfarrer vorüber; wir boten einander^ den 
Gruß und kamen sogleich in ein Gespräch über den Spruch am Hause. 
„Das Wort hat allerdings, wie Sie sich gedacht haben, seine 
besondere Geschichte," sagte der Pfarrer; „ich kann sie Ihnen 
unterwegs erzählen, da Sie wohl auch dem Dorfe dort drüben zu¬ 
gehen, wohin ich gerufen bin, um einen Kranken zu besuchen." Gern 
schloß ich mich dem freundlichen Herrn an und hörte mit Teilnahme f 
seine Mitteilungen. 
„Ich habe ihn noch gekannt als einen hochbetagten Greis, den 
einstigen Besitzer dieses Hauses, der es in seinen jüngeren Mannes¬ 
jahren erbaute und mit dem Spruche von der tränenvollen Saat
	        
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