Full text: [Teil 5, [Schülerband]] (Teil 5, [Schülerband])

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5. Das 
1. Der Maurer schreitet frisch heraus, 
er soll dich niederbrechen; 
da ist es mir, du altes Haus, 
als hörte ich dich sprechen: 
„Wie magst du mich, das lange Jahr' 
der Lieb’ und Eintracht Tempel war, 
wie magst|du mich zerstören? 
alte Haus. 
6. Noch lange Jahre kann ich stehn, 
bin fest genug gegründet, 
und ob sich mit der Stürme Wehn 
ein Wolkenbruch verbündet; 
kühn rag’ ich wie ein Fels empor, 
und was ich auch an Schmuck verlor, 
gewann icli’s nicht an Würde? 
2. Dein Ahnherr hat mich einst erbaut 
und unter frommem Beten 
mit seiner schönen, stillen Braut 
mich dann zuerst betreten. 
Ich weiß um alles wohl Bescheid, 
um jede Lust, um jedes Leid, 
was ihnen widerfahren. 
7. Und hab’ich denn nicht manchen Saal 
und manch geräumig Zimmer? 
Und glänzt nicht festlich mein Portal 
in alter Pracht noch immer? 
Noch jedem hass in mir behagt, 
kein Glücklicher hat sich beklagt, 
ich sei zu klein gewesen. 
3. Dein Vater ward geboren hier 
in der gebräunten Stube, 
die ersten Blicke gab er mir, 
der muntre, kräft’ge Bube. 
Er schaute auf die Engelein, 
die gaukeln in der Fenster Schein, 
dann erst auf seine Mutter. 
4. Und als er traurig schlich am Stab, 
nach manchen schönen Jahren, 
da hat er schon, wie still ein Grab, 
in meinem Schoß erfahren; 
in jener Ecke saß er da, 
und stumm und händefaltend sah 
er sehnlich auf zum Himmel. 
5. Du selbst—doch nein, das sag’ ich nicht, 
ich will von dir nicht sprechen, 
hat dieses alles kein Gewicht, 
so laß nur immer brechen. 
Das Glück zog mit dem Ahnherrn ein, 
zerstöre du den Tempel sein, 
damit es endlich weiche. 
8. Und wenn es einst zum letzten geht, 
und wenn das warme Leben 
in deinen Adern stille steht, 
wird dies dich nicht erheben, 
dort, wo dein Vater sterbend lag, 
wo deiner Mutter Auge brach, 
den letzten Kampf zu streiten?“ 
9. Nun 'schweigt es still, das alte Haus, 
mir aber ist’s, als schritten 
die toten Väter all heraus, 
um für ihr Haus zu bitten, 
und auch in meiner eignen Brust, 
wie ruft so manche Kinderlust: 
„Laß stehn das Haus, laß stehen!“ 
10. Indessen ist der Mauermann 
schon ins Gebälk gestiegen, 
er fängt mit Macht zu brechen an, 
und Stein und Ziegel fliegen. 
„Still, lieber Meister, geh von hier, 
gern zahle ich den Taglohn dir, 
allein das Haus bleibt stehen.“ 
Friedrich Hebbel. 
V 
»I, A 5. 
S
	        
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