Hoffmann: Die Flüsse.
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strömens von süßem Flußwasser stets salzig zu erhalten. Der Ge¬
schmack des Meerwassers ist daher so widrig, daß die Menschen es
vor Ekel nicht trinken können. Übrigens soll die Bewegung des
Meeres seihst hei Sturm in seiner Tiefe nicht zu verspüren sein, wie
die Taucher versichern.
Die merkwürdigste Bewegung des Meeres ist die Ebbe und
Flut. Das Wasser am Strande steigt und fallt in regelmäßigem
Wechsel innerhalb 24 Stunden 50 Minuten 48 Sekunden zweimal.
Das Steigen, welches sechs Stunden dauert, nennt man Fluten. Wächst
es nicht mehr, so ist hohe See, die nur eine halbe Stunde dauert
Fällt es und läuft vom Ufer ab, was wieder sechs Stunden anhält, so
sagt man, es ebbet. Im niedrigsten Stande, bei tiefer See, beharrt
es wieder eine halbe Stunde, bevor es zu steigen beginnt. In der
Ostsee, die fast gänzlich vom Land umgeben ist, spürt man keine
Flut, wohl aber in der Nordsee. Zuweilen übersteigt das Meer die
gewöhnliche Höhe und wird desto gefährlicher. Man nennt dies
Springflut.
Ergreifend ist der Anblick des vom Sturme bewegten Meeres.
Sowie man gedankenlos oder vielmehr seiner Gedanken unbewußt
die verheerende Glut eines Brandes anstarrt, entsetzt vor dem fürch¬
terlichen Elemente zurückbebt und doch immer wieder hinblickt, um
sich an dem erhabenen Schauspiele der entfesselten Flammen zu er¬
götzen, so steht auch der Wanderer wie fest gebannt am Meeres¬
strande, hinausstarrend in die tobenden Wassermassen. Als wären
sie erzürnt, auf Grenzen zu stoßen, schmettern sie schäumend an die
Felsen oder rollen pfeilschnell, eine Woge die andere treibend, auf
dem Sande dahin und ziehen sich dann für einen Augenblick zurück,
als wollten sie mit erneuten Kräften den Sturm versuchen, um die
sie festbannenden Ufer zu zermalmen. Einem Träumenden gleich
versinkt der Mensch in der Anschauung der nie geahnten Pracht des
entfesselten Wassers, bis ihn ein dahingleitendes Segel oder ein brau¬
sender Dampfer aus seiner stummen Bewunderung aufweckt und an
die Wirklichkeit erinnert
69. Die Flüsse.
Nach Friedrich Wilhelm Hoffmann. Grundzüge der allgemeinen Erdkunde.
Stuttgart, 1850.
Der Schnee, der auf die Gipfel der Berge fallt, sammelt sich
dort rasch an und verwandelt sich dann vermöge seines eigenen Ge¬
wichtes mit Beihilfe von Tau und Frost in Eismassen von großer
Dicke. Solche Massen nennt man Gletscher. Sie werden auf den
oberen Teilen und zwischen den Spitzen aller hohen Gebirge gefun¬
den. Die äußere Erscheinung eines Gletschers hängt von den Um-