Full text: [Abt. 1 = Für Sexta, [Schülerband]] (Abt. 1 = Für Sexta, [Schülerband])

Brüder Grimm: Frau Holle. 
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Aber als der Frosch herabsiel, stand da ein Königssohn mit schönen 
und freundlichen Augen. Der war nun von Recht und mit ihres 
Vaters Willen ihr liebster Geselle und Gemahl. Da erzählte er ihr, 
er wäre von einer bösen Hexe verwünscht worden und hätte nur von 
ihr aus dem Brunnen erlöst werden können, und morgen wollten sie 
zusammen in sein Reich gehen. Dann schliefen sie ein, und am andern 
Morgen, als die Sonne sie aufweckte, kam ein Wagen herangefahren, 
mit acht weißen Pferden bespannt; die waren mit Federn geschmückt 
und gingen in goldenen Ketten, und hinten stand der Diener des jungen 
Königs, das war der treue Heinrich. Der treue Heinrich hatte sich so 
betrübt, daß er drei eiserne Bande hatte müssen um sein Herz legen 
lassen, damit es ihm nicht vor Weh und Traurigkeit zerspränge. Der 
Wagen aber sollte den jungen König in sein Reich abholen; der treue 
Heinrich hob beide hinein und stellte sich wieder hinten auf, voller 
Freude über die Erlösung. Und als sie ein Stück Weges gefahren 
waren, hörte der Königssohn, daß es hinter ihm krachte, als wäre etwas 
zerbrochen. Da drehte er sich um und rief: 
„Heinrich, der Wagen bricht!" — 
„Nein, Herr, der Wagen nicht; 
Es ist ein Band von meinem Herzen, 
Das da lag in großen Schmerzen, 
Als Ihr in dem Brunnen saßt, 
Als Ihr eine Fretsche wast" (ein Frosch wart). 
Noch einmal und noch einmal krachte es auf dem Wege, und der 
Königssohn meinte immer, der Wagen bräche, und es waren doch nur 
die Bande, die vom Herzen des treuen Heinrich absprangen, weil sein 
Herr wieder erlöst und glücklich war. 
5. Frau Holle. (Aus Hessen und Westfalen.) 
Von den Brüdern Grimm. Kinder- und Hausmärchen. Göttingen, 1857. 
Eine Witwe hatte zwei Töchter; von diesen war die eine schön 
und fleißig, die andere häßlich und faul. Sie hatte aber die häßliche 
und faule, weil sie ihre rechte Tochter war, viel lieber, und die andere 
mußte alle Arbeit thun und der Aschenputtel im Hause sein. Das 
arme Mädchen mußte sich täglich hinaus auf die große Straße bei 
einem Brunnen setzen und so viel spinnen, daß ihm das Blut aus den 
Fingern sprang. Nun trug es sich zu, daß die Spule einmal ganz 
blutig war; da bückte es sich damit in den Brunnen und wollte sie 
abwaschen; sie sprang ihm aber aus der Hand und siel hinab. Es 
weinte, lief zur Stiefmutter und erzählte ihr das Unglück; sie schalt es 
heftig und war so unbarmherzig, daß sie sprach: „Hast du die Spule 
hinunterfallen lassen, so hol' sie auch wieder herauf!" Da ging das 
Mädchen zu dem Brunnen zurück und wußte nicht, was es anfangen
	        
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