Full text: [Teil 1 = Sexta, [Schülerband]] (Teil 1 = Sexta, [Schülerband])

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II. Erzählungen aus aller Welt. 
und sahen auf das rote Tuch, das er um seinen Schatz geschlungen hatte. 
Und er ging schneller und schneller, um nach Hause zu kommen und seinen 
Schatz abzuliefern. Erst sollte seine Mutter sich daran freuen, ehe er etwas 
davon ausgab. 
Und dann bog er in die Winkelgasse ein. Richtig, da stand der Ronrad 
wieder an der Haustür und trat ihm in den Weg, und er zitterte vor Ungst. 
„Wo hast du das Geld gestohlen?" fragte er mit einem bösen Blick 
und hielt ihn an der Rehle fest. 
„Ich hab' es nicht gestohlen, Nonrad, gewiß nicht," stammelte er, 
„ich hab' es beim Bäcker verdient, wo ich das Brot austrage." 
„Verdient willst du es haben?" rief Nonrad und packte ihn noch fester, 
„gestohlen hast du's, du Lump!" Und damit schlug er ihn an die Backe, 
daß sie wie Zeuer brannte und ihm das blanke Geldstück aus dem Tuch 
und unter dem Urme wegglitt und über die Straße rollte. Er riß sich los 
und lief hinterdrein, und es rollte vor ihm her und wurde kleiner und immer 
kleiner und rollte und rollte ohne Unterlaß, als wenn es Zlügel hätte, als 
wenn der Wind dahinter wäre wie hinter seiner Mütze, damals als der 
Sturm war, und endlich war es so klein geworden wie eine gewöhnliche 
Mark. Uber es rollte immer weiter, und er keuchte hinterdrein, und hinter 
sich hörte er Nonrad lachen und rufen: „Gestohlen, du Lump! Gestohlen!" 
Oa! Plumps! war es durch einen Rost in den Straßenkanal gefallen. 
Ein eisiger Schreck fuhr durch seine Glieder — und er erwachte. 
Er konnte sich gar nicht besinnen, wo er war. 
Uber richtig, da lag er ja noch im Bett, und die Mutter war schon auf¬ 
gestanden und hatte schon die Petroleumlampe angezündet, weil es ja 
noch früh und finster war . . . Und seine Mark lag noch an derselben Stelle 
auf der Zensterbank. 
Um Nachmittag wurde er dann mit seiner Mark zum Nrämer ge¬ 
schickt, und als er ein Pfund Margarine und eine Zlasche Petroleum dafür 
erstanden hatte, bekam er ganze acht Pfennige wieder heraus, vier 
schmutzige Zweipfennigstücke . . . 
Und wie er dann so stand und sie in der Hand hielt, draußen vor der 
Ladentür, fiel ihm sein Traum aus der vorigen Nacht wieder ein, und er 
schluckte und schluckte, um die Tränen wegzubringen, die ihm langsam 
und brennend in die Uugen zu steigen begannen. Uls er aber wieder die 
Stube seiner Mutter betrat, konnte man ihm wirklich nicht ansehen, daß 
er geweint hatte. 
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