Full text: Für Sexta und Quinta (Abt. 1, [Schülerband])

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mir hier auch noch so gut geht, so kann ich doch nicht hier bleiben." 
Die Frau Holle sagte: „Du hast recht, und weil du mir so treu 
gedient hast, so will ich dich selbst wieder hinauf bringen." Sie 
nahm sie darauf bei der Hand und führte sie vor ein großes Tor. 
Das ward ausgetan, und als das Mädchen darunter stand, fiel 
ein gewaltiger Goldregen, und alles Gold blieb an ihr hangen, 
so daß sie über und über davon bedeckt war. „Das sollst du haben, 
weil du so fleißig gewesen bist," sprach die Frau Holle und gab 
ihr auch noch die Spule wieder, die in den Brunnen gefallen war. 
Daraus ward das Tor verschlossen, und das Mädchen befand sich 
oben auf der Welt nicht weit von ihrer Mutter Hause, und als 
sie in den Hof kam, saß der Hahn aus dem Brunnen und rief: 
„Kikeriki! Unsere goldene Jungfrau ist wieder hie!" Da ging 
sie hinein zu ihrer Mutter, und weil sie so mit Gold bedeckt war, 
wurde sie gut ausgenommen. 
2. Als die Mutter hörte, wie sie zu dem Reichtum gekommen, 
wollte sie ihrer häßlichen und faulen Tochter dasselbe Glück ver¬ 
schaffen, und sie mußte sich an den Brunnen setzen und spinnen; 
damit ihr die Spule blutig ward, stach sie sich in den Finger 
und zerstieß sich die Hand an der Dornhecke. Danach warf sie 
die Spule in den Brunnen und sprang selber hinein. Sie kam, 
wie ihre Schwester, ans die Wiese und ging aus demselben Pfade 
weiter. Als sie zu dem Backofen gelangte, schrie das Brot wieder: 
„Ach, zieh mich heraus, zieh mich heraus! Sonst verbrenne ich. 
Ich bin schon längst ansgebacken." Die Faule antwortete: „Da 
hätte ich Lust, mich schmutzig zu machen!" und ging fort. Bald 
kam sie zu dem Apfelbaum, der ries: „Ach, schüttle mich! Wir 
Äpfel sind alle reis." Sie antwortete aber: „Du kommst mir 
eben recht; es könnte mir ja einer aus den Kops fallen!" und ging 
dann weiter. Als sie vor der Frau Holle Haus kam, fürchtete sie 
sich nicht, weil sie von ihren großen Zähnen schon gehört hatte, 
und verdingte sich gleich zu ihr. Am ersten Tage tat sie sich 
Gewalt an, war fleißig und folgte der Frau Holle, wenn sie ihr 
etwas sagte; denn sie dachte an das viele Gold, das sie ihr schenken 
würde. Am zweiten Tage aber fing sie schon an zu faulenzen, am 
dritten noch mehr; da wollte sie des Morgens gar nicht aufstehen; 
sie machte auch der Frau Holle das Bett schlecht und schüttelte es 
nichr recht, daß die Federn aufflogen. Das ward die Frau Holle
	        
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