Trockene, spitzige Nadeln warfen sie zu ihm herab, als sie be¬
merkten, wie er seine Krone hob und reckte.
Er aber schüttelte sich froh: „Mich hat die Poesie geküßt,“
rief er stolz. „Auch ich kann die Menschen beglücken! Ich träume,
und ich bin all das, wonach ihr trachtet: der ragende Mast, der ein
Kaiserschiff beschirmt, der strahlende Baum, unter dem sich die
Menschenherzen wärmen, der stolze Wächter eines Heldengrabes.
Was meine Zweige rauschen, das sind Lieder, ewige, unvergänglich
tönende. Bei mir ruhte die Poesie auf ihrem Flug durch die
Lande! Ich bin ein Dichter!“
67. Die Areuzschau. Von Adelbert von Chamiffo.
1. Der Pilger, der die Höhen überstiegen,
sah jenseits schon das ausgespannte Tal
in Abendglut vor seinen Füßen liegen.
2. Auf dnft'ges Gras, im milden Sonnenstrahl,
streckt' er ermattet sich zur Ruhe nieder,
indem er seinem Schöpfer sich befahl.
3. Ihm fielen zu die matten Augenlider;
doch seinen wachen Geist enthob ein Traum
der irdischen Hülle seiner trägen Glieder.
4. Der Schild der Sonne ward im Himmelsraum
zu Gottes Angesicht, das Firmament
zu seinem Kleid, das Land zu dessen Saum.
5. „Du wirst dem, dessen Herz dich Vater nennt,
nicht, Herr, im Zorn entziehen deinen Frieden,
wenn seine Schwächen er vor dir bekennt.
6. Daß, wen ein Weib gebar, sein Kreuz hienieden
auch duldend tragen muß, ich weiß es lange;
doch sind der Menschen Last und Leid verschieden.
7. Mein Kreuz ist allzu schwer; sieh, ich verlange
die Last nur angemessen meiner Kraft;
ich unterliege, Herr, zu hartem Zwange!"
8. Wie er so sprach zum Höchsten kinderhaft,
kam brausend her der Sturm, und es geschah,
daß aufwärts er sich fühlte hingerafft.
Wacker, Lesebuch. A. ** V. Teil. 8