Full text: [Abschn. 2 = Unterstufe: Quinta, [Schülerband]] (Abschn. 2 = Unterstufe: Quinta, [Schülerband])

Aus der Odyssee: Auf Jthaka. — Das Gastmahl. 
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Nun sprach die Göttin Minerva in das Herz des Odysseus: „Gib dich 
dem Sohne zu erkennen!" Und von Minervas Stabe berührt, stand jetzt der 
Vater, in einen kostbaren Mantel und Leibrock gekleidet, in der Fülle seiner 
schönen und kräftigen Heldengestalt vor dem Sohne, der ihn staunend für einen 
Gott hielt. „Nein, ich bin kein Gott", erwiderte Odysseus, „ich bin dein Vater, 
wegen dessen du von trotzigen Männern viele Kränkungen erduldest." Noch 
immer war Telemach ungläubig, und erst als ihn Odyssens beschied, die Ver¬ 
wandlung sei ein Werk der Schutzgöttin Athene, schlang der Sohn in Freuden¬ 
tränen die Arme um den lange vermißten Vater. Dieser erzählte nun in aller 
Hast die Geschichte seiner Heimkehr und besprach dann mit Telemach den Plan 
zur Rache. Als Bettler wollte Odysseus in die Stadt gehen, alle Schmähungen 
und Kränkungen der Freier geduldig ertragen, und auch Telemach sollte sein 
Gefühl für den Vater verleugnen und ruhig zusehen, wenn dieser mißhandelt 
würde. Telemach sollte ganz im geheimen alle Waffen aus dem Saale tragen 
und nur für sich und Odysseus Schwerter, Speere und Schilde zurücklassen. 
Niemand, selbst Penelope nicht, bürste von dem Plane etwas erfahren. 
76. Das Gastmahl. 
A. W. Grube, Charakterbilder aus der Geschichte und Sage. 
Nach dieser Unterredung kehrte Telemach nach der Stadt zurück in den 
königlichen Palast. Als die Freier ihn sahen, wurden sie zornig, daß er ihnen 
entwischt war; denn sie trachteten ihm nach dem Leben. 
Odyssens hatte schon seine Bettlergestalt wieder angenommen, als Eumäus 
von der Stadt zurückkehrte. Der treffliche Sauhirte bereitete seinem Gastfreund 
ein weiches Lager, und am andern Morgen ging er mit ihm znr Stadt. Schon 
unterwegs erfuhr der verkleidete König harte Kränkungen von einem unver¬ 
schämten Ziegenhirten, dem Melantheus, der es mit den Freiern hielt und ihnen 
Ziegen zum Schmause in die Stadt führte. Als er die beiden Alten sah, rief 
er höhnisch: „Wahrlich, das heißt recht, ein Taugenichts führt den andern! 
Stets gesellen ja die Götter gleiches zu gleichem! Was führst du nun, Sau¬ 
hirt, diesen Fresser, diesen Tellerlecker, diesen beschwerlichen Bettler in die Stadt, 
der, die Schultern an den Türpfosten sich reibend, um Brocken bittet? Wenn 
er zum Hüter eiues Geheges, zum Ausfegen der Ställe taugte, könnte er Molken 
trinken und Fett aus die Lenden gewinnen; doch zur Landarbeit wird er keine 
Lust haben und lieber für seinen unersättlichen Bauch um Futter betteln. Im 
Palast des Odysseus werden ihn die Freier mit Schemeln werfen und ihm die 
Rippen zerschmettern!" 
Diese und andere Schmähungen ertrug der Held mit ruhiger Gelassenheit; 
der Ziegenhirt Melantheus enteilte zum Palaste, und auch Eumäus und der
	        
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