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schneidende Kälte alle Pflanzenkeime erstickt: da streckt und beugt sich
"och die Krummholzkiefer und bietet allem Sturm und Wetter Trotz.
So gewinnt das Fichtengeschlecht gleich dem Adler, der kühn über alle
andern Vögel sich erhebt, den Sieg, höher als alle anderen Bäume in
die Lüfte emporzusteigen, wie es denn auch den Ruhm hat, die höchsten
""d schlanksten Riesen der ganzen europäischen Baumfamilie zu er¬
zeugen.
Kein anderes Baumgeschlecht bildet ferner so zahlreiche Wälder
wie das der Fichte. Ohne die Fichtenwälder mit ihrem unerschöpf¬
lichen Holzvorrat wäre das nördliche Klima kaum zu ertragen. Von
den Stämmen der Fichte bauen die Menschen ihre Häuser, mit ihren
Brettern umkleiden sie die Wände, erwärmen sie den kalten Fußboden;
aus ihrem Holze drechseln sie ihr Hausgeräte, verfertigen sie Tische,
Stühle, Bänke. Es ist das Fleisch der Fichte, mit welchem sie ihre Öfen
speisen und ihr Essen kochen, und es ist das Blut desselben Baumes,
woraus sie das Terpentinöl bereiten und das Pech, ohne welches kein
Kahn den Flllß befahren, kein Schiff in die See stechen könnte. Wohl
liefert die Eiche die festen und starken Rippen des Schiffes; aber die
Tanne pflanzt den Mastbaum darauf, der die gewaltigen Segel trägt
und hoch und stolz die Wimpel sehen läßt. Und wie den turmhohen
Mast, so liefert dir derselbe Baum das kleine Zündhölzchen, an welchem
der entzündliche Phosphor dir das Feuer bringt. Das Fichtenholz ist
auf den Häusern die deckende Schindel, in den Häusern der tragende
Balken; das Fichtenholz ist in der Hand der Hausfrau der Eimer, das
Sieb, die Kelle. Frage den Küfer, den Drechsler, den Tischler, den
Zimmermann, den Bauer und Bürger, den Handwerker und Künstler:
sie alle werden dir den köstlichen Fichtenbaum loben und preisen. Was
das Roggenkorn als Getreide, das ist die Fichte als Holz für den nor¬
dischen Menschen.
Das Fichtengeschlecht ist aber auch ganz für die scharfen Winde
der Hochgebirge und für die scharfe Luft rauher Klimate geschaffen.
Das schöne, hellgrüne, schattenreiche Laub ist ihm vom Schöpfer ver¬
sagt, die breite Fläche des Eichen- und Bnchenblattes ist zusammen¬
geschrumpft zu einem dünnen, spitzigen Nadelkörper, der feindlich die
Hand von sich abstößt, die sich ihm naht. Aber an diesem zusammen¬
gerollten Nadelblatte findet auch die Winterlust keine Fläche, an der sie
ihren Zorn anslassen könnte, um das Blatt zu zerstören. Dazu kommt
der harzige Saft, welcher der Kälte so wacker Widerstand leistet, der die
Blätter immer grün erhält und diese Fülle von Leucht- und Wärmestosf
"mschließt.