Full text: Vaterländisches Lesebuch für untere und mittlere Klassen höherer Lehranstalten

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1. Wie schön Leuchtet der Morgenstern 
Wir waren wohl oft in großer Angst und Not, erzählte ein alter 
Dorfschulmeister in Schlesien, wenn wir im siebenjährigen Kriege auf 
jenen Anhöhen die Österreicher, hier in den Schluchten unsere Preußen 
schlagfertig stehen sahen. Weder Pferd noch Kuh, weder Milch noch 
Brot gab es in unserm Dörfchen mehr. Fast in jeder Nacht hörten wir 
die Kanonen donnern, und mit jedem neuen Morgen stellte sich auch 
neues Elend und neuer Jammer für uns ein. 
Einst hatten wir wieder die ganze Nacht hindurch schießen gehört; 
cm Zubettgehen war gar nicht mehr zu denken, weil man in jeder Nacht 
horchen mußte, ob die Flamme nicht schon im Dachgiebel knisterte. Eben 
hatte ich mein Morgenläuten besorgt, guckte zum Schallloche hinaus, um 
zu schauen, was uns an dem schrecklichen Tage wohl wieder bevorstehen 
könne, und zog, zum Himmel blickend und Gott dankend, mein Mützchen 
vom Kopfe, da mir alles ganz ruhig schien. Ehe ich es jedoch wieder 
aufgesetzt hatte, jagte ein alter schwarzer Husar zum Kirchhofe herein, 
warf sich vom Pferde und band seinen Braunen an meinen Fensterladen. 
Wie mir zu Mute ward, kann man sich leicht vorstellen. Ich flog mehr, 
als ich ging, die Turmtreppe hinunter. Er aber ließ mir nicht einmal 
Zeit, meinen „guten Morgen!" anzubringen, sondern rief mir in barschem 
Tone zu: „Geb' Er mir den Kirchenschlüssel, Schulmeister!" Ich er¬ 
schrak; denn obgleich das bißchen Kirchenvermögen und der vergoldete 
Kelch mit der Hostienschachtel in Sicherheit gebracht waren, so befand 
sich doch noch eine ziemlich reiche Altarbekleidung mit Tressen in der 
Kirche. Ich legte mich auf Bitten und Vorstellungen; allein der alte 
Kriegsmann wollte davon nichts missen. Er sah mit einer so ganz 
eigenen Manier bald auf mich, bald aus seinen Säbelgriff, daß ich, um 
Unglück zu verhüten, voranging, um die Kirchthür zu öffnen. Meine 
Frau, die hinter der Hausthür gehorcht hatte, und die vor der Gefahr 
immer verzagter, in der Gefahr aber immer entschlossener war als 
ich, kam aus Besorgnis um mich aus freien Stücken hinter uns her. 
Der Husar drängte sich in der Hatte hastig voran, ging, ohne sich 
umzusehen, an der Sakristei und dem Altar vorüber und schritt, so 
schnell es sein Alter erlaubte, klirr! klirr! die Chortreppe hinauf. Hier
	        
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