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Es war ein starker und langer Winter. In den rauchigen Hütten wurden
die Augen trübe; vom langen Liegen wurden die Leiber ungelenk; von
dem ewigen Starren gegen das Dachreth wurde der Geist stumpf.
Darum, als endlich der Frühling kam, waren sie überfroh. Sie waren
viel froher, als die Menschen jetzt sind. Einige rissen mit großem Geschrei
die steile Vorderwand der Hütte nieder; andere banden Birkenreiser um
die Hüften und tanzten im Reigen; andere sprangen in den Bach; andere
zogen in den Wald zur Jagd. Die Kinder aber machten alles nach, spielender¬
weise. Nur allein der Bootsmann blieb in seiner Hütte. Als sie das sahen,
daß er selbst der Sonne am Himmelshaus und der Freya im Walde böse
war, da war es klar, daß er von bösen Geistern betört war.
Im Laufe dieses Sommers kam eine solche Trockenheit übers Land,
daß junge Leute von den jenseitigen Höhen, von den Dietmargos, zu
Fuß durch die Bucht gingen, sich in die Wälder schlichen und von der Höhe
hinab den Bachlauf erspähten und die schöne Weide und die Rinder sahen.
Der Platz gefiel ihnen; denn sie wohnten da drüben ziemlich bedrängt,
am Rande des Moores oder auf kahlen Höhen. Die fruchtbare Marsch
war damals noch nicht vorhanden; die lag noch im Meer.
Also rückten sie eines Tages mit Springen, Waten und Schwimmen
über die Bucht, verloren unterwegs im Wasser drei Mann, die im Schlamme
versanken, und gelangten, gegen hundert Mann stark, unten an den Bach¬
lauf.
Da liefen junge Knaben von Herd zu Herd und riefen alle zum Kampfe.
Aber sie liefen durcheinander wie gestörte Ameisen; denn sie hatten keinen
Häuptling. Der war im Winter an schwerer Geisteskrankheit gestorben.
In des Bootsmanns Hütte, oben am Bach, riefen sie zu allerletzt: „Auf,
Feinde im Tal!"
Da sprang er auf, reckte seine Glieder und freute sich der Stunde, die
ihn der Sonne und den Menschen wiedergab. Er legte den breiten Gurt
an, an dem Schwert und Dolch herunterhingen, griff nach Eichenschild
und Eschenspeer und sprang barhaupt aus seiner Hütte. Die anderen
waren schon hinuntergezogen. ; ;? .
Als er aber am Bachlaufe hinuntereilte, sah er von ohngefähr — es wor¬
ein Herbsttag — ein großes, überreifes Blatt der Blaubeere im Wasser-
treiben. Es war länglichrund und zur Mulde gewölbt, und mittendrin,
auf dem Boden, lag ein Häuflein Beeren, gleich einer Bootslast. Sicher
und glatt trieb es im Sonnenscheine quer über den Bach. Als er düs sah,
fiel plötzlich vom Himmel herab der Gedanke auf ihn; „So mußt du Boote
bauen. Mit Stiel und Rippen und Last auf dem Grunde, so kannst du groß
bauen, so groß du willst . . . und fest und sicher wird der Gang." Er warf
sich auf die Knie und besah das zierliche Ding und grübelte: „Wie fange
Deutsches Lesebuch für Gymnasien. Abt. für Quarta. 2. Aufl. 5