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II. Mythen.
vom rußigen Balken") herab und schneidet ein bescheidenes Stück davon
und legt es in das siedende Wasser. Und damit den Gästen der Verzug 2°)
bis zur Mahlzeit nicht zu lange währt, bemühen sich beide, durch unter¬
haltende Gespräche die Zeit zu kürzen.
Mittlerweile breitet Baukis über ein Polster aus weichem Sumpf¬
gras, das in der Stube auf weidenem Gestelle lag, einen Teppich — er
war zwar alt und von schlechtem Gewebe, wohl passend zu dem weidenen
Gestelle24), doch war er ein Kleinod22) der Alten, das sie nur an festlichen
Tagen hervorzuholen pflegten. Darauf laden sie die Gäste ein sich nieder¬
zulassen zum Mahle. Die zitternde24) Alte mit aufgeschürztem25) Ge¬
wände stellt den Tisch davor, aber der brttte26) Fuß des Tisches ist un¬
gleich; eine Scherbe darunter27) macht ihn gleich. Nachdem sie so den
Tisch gefestigt28), reibt sie ihn ab mit duftiger Krausemünze29). Darauf
trägt sie die Speisen auf. Da sind Oliven, die zweifarbige Beere der
reinen Minerva 30), und herbstliche Kornelkirschen 31), eingemacht in flüssiger
Brühe, Endivien und Radischen und geronnene Milch und Eier, leicht
gedreht in nicht allzu heißer Asche, alles in irdenen Gefäßen. Auch wird ein
Mischbecher32) aufgestellt, gleichfalls von Thon, und Becher von Buchen¬
holz, im Innern mit gelbem Wachse gebohnt33). Nach einer Weile sendet
der Herd warme Speisen34), und wiederum wird Wein aufgetragen von nicht
hohem Alter. Ein wenig auf die Seite geschoben, gibt er Platz für den
Nachtisch33). Da ist Nuß, da ist Feige, mit runzligen33) Datteln ver¬
mischt, und Pflaumen und duftige Äpfel in offenen Körbchen und Trauben
von der purpurnen 37) Rebe. In der Mitte steht eine glänzende Honig¬
scheibe. Zu all diesem kommt als das Schönste und Beste eine freundliche
Miene und ein nicht träger und armer Wille38).
Unterdessen sehen die beiden Wirte33), wie der Mischbecher, so oft er
ausgeschöpft ist, von selbst sich wieder füllt, und der Wein von selber nach¬
wächst, und sie staunen ob dem Wunder und stehen starr, und mit rück¬
wärtsgebogenen Händen40) stammeln sie Gebete voll Furcht und Schreck
und flehen um Verzeihung für die schlechte Bewirtung. Was sollen sie thun,
um die göttlichen Gäste zu besänftigen?44) Sie hatten eine einzige Gans,
eine Wächterin42) des kleinen Hauses. Die schickten sie sich an den ein¬
gekehrten Göttern zu opfern; aber die Gans verspottete mit ihren schnellen
Flügeln die Langsamkeit der Alten und zog sie flüchtend lange hin und her und
schien endlich ihre Zuflucht zu den Göttern selbst zu nehmen. Die Götter
verboten sie zu töten und sprachen: „Wir sind Götter, und eure gottlose
Nachbarschaft wird büßen für ihr Vergehen. Ihr dagegen werdet ver¬
schont bleiben von dem Übel, das ihnen verhängt ist; nur verlaßt eure Woh¬
nung und gehet mit uns hinauf auf die Höhe des Berges."
Beide gehorchen, und auf ihre Stäbe gestützt43), wandern sie müh¬
sam den langen Pfad hinauf der Bergeshöh' zu. Als sie nur noch einen
Pfeilschuß44) von dem Gipfel entfernt waren, wandten sie ihren Blick und
sahen die ganze Niederung in einen See verwandelt, nur ihr Haus war
stehen geblieben. Während sie das bewundern und das Geschick der
Ihrigen43) beweinen, wandelt sich jene alte Hütte, die selbst für ihre zwei