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IV. Sagen.
Herdfeuer erhellt war. Frau Ute erwartete bereits ihren Sohn.
Fröhlich sagte Alebrand: „Hier bring’ ich dir einen Gefangenen,
liebe Mutter. Er hätte mich auf der Heide beinah erschlagen;
aber dir habe ich meine Rettung zu verdanken, du hast mich
in meiner Jugend sorglich in Stoß und Sprung unterweisen lassen.
Nun bin ich meines Sieges so froh, daß ich den hungrigen alten
Mann gerne als Gast beherberge.“ Fragend blickte Frau Ute
bald ihren Sohn an, bald den fremden Mann; sie wußte sich
den Widerspruch in Alebrands Worten nicht zu deuten. Sie
begrüßte den Gast höflich, aber gemessen; sobald sich aber
eine schickliche Gelegenheit gab, flüsterte sie ihrem Sohne zu:
„Erweisest du nicht einem gefangenen Manne zu viel Ehre, wenn
du ihn oben an den Tisch setzest?“ Doch Alebrand lächelte
und führte an der Rechten die Mutter, an der Linken den Vater
auf den Hochsitz, während die Mannen im Saale sich an den
Langtischen reihten.
Noch hatte Hildebrand kein Wort gesprochen, er wollte sich
durch die Stimme nicht verraten. Aber während sie aßen, blickte
Frau Ute ihn oft forschend und mit Spannung an; es war ihr
immer, als hätte sie diesen Mann mit den blitzenden Augen in
ihrer Jugend gekannt.
Nachdem der Hunger gestillt war, füllte Frau Ute einen
Becher mit Wein, trat damit vor Hildebrand hin und sprach:
„Mit diesem Trünke heiß’ ich dich willkommen, du seltsamer
Gast. Noch hab’ ich kein Wort von dir gehört; aber meines
Sohnes Gesinnung gegen dich genügt mir, um dich zu ehren
und gern zu bewirten. Mögest du dich wohl fühlen in der
Burg zu Bern!“ Nach diesen Worten nippte sie an dem Becher
und reichte ihn dem Alten hin. Dieser erhob sich schweigend,
verneigte sich und trank in einem Zuge den dargebotenen Wein.
Dann aber klirrte es, indem er den silbernen Becher an Frau
Ute zurückgab, als ob Gold darin niederglitte. Neugierig schaute
die Wirtin hinein; mit Befremden erblickte sie einen goldenen
Ring auf dem Grunde des Bechers; sie ergriff ihn, und als sie
ihn im Scheine des Feuers genau betrachtet hatte, schrie sie
laut auf und erbleichte. „Woher,“ rief sie bebend, „hast du
diesen Ring, du wunderbarer Mann?“ Hildebrand erwiderte:
„Den Ring sendet dir, edle Frau, dein Gemahl zum Wahrzeichen
seiner baldigen Heimkehr. Beim Klange seiner Stimme zuckte
Frau Ute zusammen; dann aber trat sie nahe an ihn heran und
sah ihm prüfend ins Auge. Die innigste Liebe leuchtete ihr
daraus entgegen. Da sank sie ihm weinend in die Arme, und