Full text: [Teil 3 = Quinta, [Schülerband]] (Teil 3 = Quinta, [Schülerband])

Rosegger: Aus der Welt der Hochalpen. 
249 
Bäume über mir bogen sich mächtig hin und her, und in den breiten 
Blättern eines Ahorn rauschten schon die großen eiskalten Tröpfelt. 
Das Gewitter ging bis auf diese wenigen Tröpfelt vorüber. 
Weiter drin aber ninszte es ärger gewesen sein, denn plötzlich brauste 
mir im Hohlweg ein wilder Gießbach mit Erde, Steinen, Eis- und 
Holzstücken elltgegen. Ich rettete mich an die Lehne hinan und kaln 
mit großer Mühe vorwärts. 
Über der Gegend lag nnn Nebel, und an den Ästen der Tallnen 
stieg er nieder bis zu bem feuchten Heidekraut des Bodeils. 
Als es gegen die Abenddünlmerllng ging, und als die Waldschlncht 
sich ein wenig weitete, kanr ich in eilt schmales Wiesental, dessen Länge 
ich des Nebels wegell ilicht ermessen konnte. Der Mattengrund war 
bedeckt mit Eiskörnern; der Bach hatte sein Bett überschritten und 
hatte die Brücke fortgerissen, die mich hätte hiilübertragell sotten auf 
das jenseitige Ufer, von wo mir durch das Nebelgrauen ein weißes 
Kirchlein und die Bretterdächer einiger Häuser zltschililmerten. 
Es war frostig kalt. Ich rief hinüber zu ben Leuteil, die am 
Wasser arbeiteten, Holzblöcke auffingen und den Fluß zu regeln sllchten. 
Sie schrieell mir die Antwort zurück, sie könnten mir nicht helfell, ich 
müsse warten, bis das Wasser abgelaufen sei. 
Bis so ein Gießwasser abläuft, das kann die ganze Nacht währen. 
I Jch wage es und lvill durch ben Fluß waten. Aber als sie drüben 
diese meine Absicht bevlerkerl, winkell sie mir warnend zu. Und bald 
stemmt ein großer, hagerer Mann eine Stange an und schwingt sich 
mit ihr zu mir herüber. Dann häuft er hart am Ufer einige 
Steine übereinallder und legt auf diese das Brett, das die anbereu 
über die Fluten herüberschieben. — Dann nahm er lnich an der Hand 
und sagte: „Nur fest anhalten!" und führte mich über das schaukelnde 
5 Brett an das andere Ufer. 
Während wir über denr Wasser schwebten, hub das Aveglöcklein 
an zu klingen, und die Leute zogen ihre Hüte ab. 
Der große, schwarze Mann geleitete mich über die Mfteotbeit 
Eiskörner zum Dörfchen hinan. 
Es bestand aus drei oder vier größerer: hölzernen Häuser::, einigen 
Hütten, rauchenden Kohlstätten und den: Kirchlein. 
Vor einem der größeren Häuser, an dessen Tür ein breiter, von 
vielen Tritten zerschleifter Antrittstein lag, blieb mein Begleiter stehen 
und sagte: „Kehrt der Herr bei mir ein? Ich bin der Winkelwirt." 
Erbeutete bei diesen Worten aus das Haus, als ob das sein Ich- 
selbst wäre. 
Bald hernach war ich in der Stube. Die Wirtin nahm mir gar- 
behende die Reisetasche und den feuchten Überrock ab und brachte mir
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.