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Und dieser Sinn hat was sehr Trauriges in sich, ich weiß nicht, ob's den
Herren auch so dünkt.
Der dritte Spruch: Lasset uns die Hauptsumma aller Lehre hö¬
ren,- fürchte Gott und halte seine Gebote, denn das gehöret allen
Menschen zu.
Dieser Spruch steht in Salomos Büchlein zu Ende aller andern Sprüche,
wie der Morgenstern, der zuletzt aufgeht und schöner und herrlicher ist, als alle
Sterne, die vor ihm hergehen. Die Hauptsumma pflegt gewöhnlich am Ende zu stehen,
und also ist diese Stellung des Spruchs natürlich. Vielleicht kann sie aber auch
noch eine Nebenabsicht haben. Salomo macht anderswo die Bemerkung, daß einem
ein Narr nicht glaube, wenn man ihm nicht auch sagt, was in seinem Herzen ist. Nun
gibt es aber Leute, die alles lästern, was sie nicht begreifen, die sich zu klug
dünken zu glauben und zu dumm sind zu wisien; arme Leute, welche die Vortheile
beider Parteien entbehren und für sich keinen andern haben, als daß sie ihr Le¬
belang discurieren, um von Leuten, die noch dümmer sind als sie, für große
Geister gehalten zu werden. Diese Klaffe von Menschen ist von jeher in der Welt
gewesen und wird bis je und je darin bleiben. Vielleicht nahm Salomo Rück¬
sicht auf sie, wollte auch ihnen gern die große Lehre zu Herzen bringen, daß Got¬
tesfurcht die Quelle alles Guten sei. Er wußte aber, daß er unvorbereitet damit
bei ihnen wenig Glauben finden würde. Daher schickt er verschiedene Sprüche mit
Lehre, die mehr in ihren Kram gehöret, voran, und nachdem er sich als Meister
in ihrer eignen Kunst gezeigt und sich solchergestalt ihr Vertrauen erworben hatte,
rückt er mit der Hauptsumma aller Lehre hervor: Fürchte Gott und halte seine
Gebote, denn das gehört allen Menschen zu. Es gibt manches Ding, will er sa¬
gen, manche Lehre zwischen Himmel und Erde, die sehr dankenswerth ist und ihre
Jntereffenten in mehr als Einer Hinsicht zu großen Leuten macht; aber das Alles
und Eins, das eigentliche Ding, die Hauptsumma aller Lehre ist Furcht Gottes
und die gehört allen Menschen zu, ist des Menschen Element, sein Beruf, seine
Natur und Wesen. ,
Lieben Herren! Ich bin nicht, was Salomo war, bin nicht König in
Israel, und ich bescheide mich gerne, daß mir seine Weisheit noch mehr als
seine Krone fehlet: aber überzeugt bin ich lebendig, daß die Furcht Gottes die
Quelle alles Guten sei, daß es da anfangen und sich da wieder endigen müffe,
und daß alles, was sich darauf nicht gründet und nicht damit besteht, wie groß
es auch scheine, doch nichts als Täuschung und Trug sei und unser Wohl nicht
förvern möge.
Aber Furcht Gottes und Furcht Gottes ist zweierlei; und hier liegt der Kno-
ten, wodurch diese Lehre zweideutig und räthselhaft wird. Wir fürchten alle Gott,
sprechen mit Ehrerbietung von ihm, hören mit Ehrerbietung von ihm sprechen rc.,
wollen ihn fürchten und thun uns wohl auch bei der und jener Gelegenheit mit
seiner Furcht einigen Zwang an, und übrigens bleibt's beim Alten. Solch eine
Furcht Gottes mag als eine feine äußerliche Zucht gelten, sonst aber ist sie der
leibhafte Bediente hinten auf der Kutsche. Der steht da auch als ein Schild, daß
honette Leute im Wagen sind, gibt ein Zeichen, daß die Wachen heraustreten, macht
die Kutschenthür auf und zu rc., und übrigens gehen die Bestien vor dem Wagen