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wol (genug)." „So gib her, was du hast," sprach der Fürst. Da ging der Köhler
und brachte in der einen Hand ein Stück Brot, in der andern einen Teller mit
Salz; das nahm der Fürst und aß, denn er war hungrig. Er wollte gern dankbar
sein, aber er hatte kein Geld bei sich; darum löste er den einen Steigbügel ab,
der von Silber war, und gab ihn dem Köhler; dann bat er ihn, er möchte ihn
wieder aus den rechten Weg bringen, was auch geschah.
Als der Fürst heim gekommen war, sandte er Diener aus, die mußten diesen
Köhler holen. Der Köhler kam und brachte den geschenkten Steigbügel mit; der
Fürst hieß ihn willkommen und zu Tische sitzen, auch getrost sein: es sollt' ihm
kein Leid widerfahren. Unter dem Esten fragte der Fürst: „Mann, es ist diese Tage
ein Herr bei dir gewesen; sieh herum, ist derselbe hier mit über der Tafel?" Der
Köhler antwortete: „Mi ducht, ji sünd et wol sülvest," zog damit den Steigbügel
hervor und sprach weiter: „Will ji düt Dink wedder hebben?" „Nein," antwortete
der Fürst, „das soll dir geschenkt sein, laß dir's nur schmecken und sei lustig."
Wie die Mahlzeit geschehen und man aufgestanden war, ging der Fürst zu dem
Köhler, schlug ihn auf die Schulter und sprach: „Nun, Mann, nimm so vorlieb,
es ist nicht viel zum besten gewesen." Da zitterte der Köhler; der Fürst fragte
ihn, warum? er antwortete: er dürfe es nicht sagen. Als aber der Fürst daraus
bestand, sprach er: „och Herre! äse ji säden, et wäre mg väle tom besten west, do
stund de Düfel achter ju!" „Ist das wahr," sagte der Fürst, „so will ich dir
auch sagen, was ich gesehen. Als ich vor deine Hütte kam und dich fragte, was
du zum besten hättest und du antwortetest: „Gott und allgenug!" da sah ich einen
Engel Gottes hinter dir stehen. Darum aß ich von dem Brot und Salz und war
zufrieden; will auch nun künftig hier nicht mehr sagen, daß nicht viel zum besten
gewesen." _ Grimm.
32. Wilhelm Teil.
Es fügte sich, daß des Kaisers Landvogt, genannt der Grißler'), gen
Uri fuhr; als er da eine Zeit wohnte, ließ er einen Stecken unter der Linde, da
jedermann vorbeigehen mußte, richten, legte einen Hut darauf und hatte einen
Knecht zur Wacht dabei sitzen. Darauf gebot er durch öffentlichen Aufruf: wer der
wäre, der da vorüber ginge, sollte sich dem Hut neigen, als ob der Herr selber
zugegen sei; und übersähe es einer und thäte es nicht, den wollte er mit schweren
Bußen strafen. Nun war ein frommer Mann im Lande, hieß Wilhelm Tell, der
ging vor dem Hut über und neigte ihm kein Mal: da verklagte ihn der Knecht,
der des Hutes wartete, bei dem Landvogt. Der Landvogt ließ den Tell vor sich
bringen und fragte: warum er dem Stecken und Hllt nicht neige, als doch geboten
sei? Wilhelm Tell antwortete: „Lieber Herr, es ist von ungefähr geschehen; dachte
nicht, daß es euer Gnad so hoch achten und fassen würde; wär ich witzig, so hieß
ich anders dann der Tell. Nun war der Tell gar ein guter Schütz, wie man sonst
keinen'im Lande fand, hatte auch hübsche Kinder, die ihm lieb waren. Da sandte
der Landvogl, ließ die Kinder holen, und als sie gekommen waren, fragte er Tellen,
1) Sonst Geßler. Spiel und Lied nennen ihn gar nicht mit Namen.