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Die Arbeiterinnen einer nahen Fabrik hatten hier die Mittags—
pause verbracht; nun kehrten sie mit Blumen geschmückt an ihre
Arbeit zurück. Dazwischen Kinderjauchzen — kleine, krumm—
beinige Watschelhänse wagten nach der langen Stubenhaft die
ersten stolpernden Schritte. An jeder Bank eine kleine Kinder—
wagenburg. Was so ein nützliches Möbel außer dem Baby alles
bergen kann, sah ich mit Staunen: Mutters Nähzeug, ein kleines
Spielwarenlager, die Lebenskraft spendende Milchflasche, das Früh⸗
stückspaket und noch mancherlei. Auf einem schattigen Platz spielte
ein junger Vater — wohl ein Beamter, der seinen freien Tag
hatte — mit seinen zwei kleinen Mädchen. Sie hatten sich und
ihn bei den Händen erfaßt, suchten ihn im Kreise herumzuziehen
und sangen: „Süßer Mai, holder Mai — Winters Herrschaft
ist vorbei!“
In der Nähe der Chaussee waren Gärtner dabei, Sträucher
zu pflanzen. Es waren nur Winterschäden, die sie ausbesserten;
die Wunden, die von der Ausstellung (1896) herrührten, sind
längst geheilt. Auf dem großen Spielplatz wächst das Gras so
üppig und dicht, als hätte hier nie der Kiel einer venezianischen
Gondel die Flut des Sees durchschnitten, in der sich die Säulen—
gänge weißer Prachtgebäude und tausend buntfarbige Lampen
spiegelten. Erzählt jetzt die Großmutter den aufhorchenden Kleinen
davon, so klingt es wie ein Märchen.
Mancher sah damals die Augenblickspracht mit Bedauern so
rasch entschwinden. Aber die Stadtväter hatten recht, als sie nach—
drücklich die Wiederherstellung des schönen Parks forderten. Kaum
wissen die Berliner, welchen Schatz sie an ihm besitzen. Mit seinen
weiten Rasenflächen, die jetzt, mit Tausenden goldgelber Butter—
blumen bedeckt, wie mit Goldfäden durchstickt erscheinen, mit den
wundervollen Baumgruppen und Bosketten ist er ein Meisterstück
der Landschaftsgärtnerei. Seine Eigenart ist die befreiende Weite.
Ungehindert schweift der Blick hinaus auf die Felder, auf die
Türme am Horizont, oder er folgt dem Strom und den ewig
wechselnden Bildern des Lebens auf ihm. Durch Hineinziehen des
Flußbildes wird das Ansehen dieses Parkes so eigenartig. Der
Wassersport, der moderne Verkehr, das industrielle Anwachsen
Berlins, alles spiegelt sich hier wider und mischt eigene lebens—
kräftige Züge in das frohe Bild. Treptow mit seinen Wahr—
Paldamus-Rehorn, Lesebuch. Ausg. E. 6. Teil.
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