Full text: [Teil 3 = Quarta, [Schülerband]] (Teil 3 = Quarta, [Schülerband])

19. Erinnerungen aus der Kindheit eines deutschen Malers. 93 
5. Am zweiten Tage nach der Schlacht ging ich mit dem 
Vater zuni Ziegelschlage hinaus, das Schlachtfeld in unserer 
Nähe zu besehen. Schon am Schlage lagen mehrere Franzosen 
in einem Graben, und einer derselben fiel mir deshalb besonders 
auf, weil eine Kanonenkugel ihm den Schädel in zwei Hälften 
zerrissen hatte, deren eine noch am Körper hing, während die 
andere daneben lag. Diese dünne zersprungene Schale, die mir 
wie ein Kürbis vorkam, machte mich ganz ängstlich für meinen 
eigenen Kopf, der mir nun höchst zerbrechlich erschien. 
Obwohl man schon Tags vorher beschäftigt gewesen war. 
die Toten fortzuschaffen — man legte sie gewöhnlich auf stroh¬ 
bedeckte Leiterwagen —, so lagen doch außer den Toten noch 
unzählige Verwundete und Sterbende umher. Wir gingen den 
Weg nach Blasewitz zu, der damals öde, sandig und unbebaut 
war. Auf einem Hügel lagen ganze Hansen toter und zum Teil 
gräßlich verstümmelter Gestalten. Wir gingen nicht ganz in die 
Nähe, denn es schauderte uns davor, das Gewimmer zu hören. 
Es war eben der Wagen da, auf welchen die Verwundeten ge¬ 
bracht wurden, und daß dies nicht sacht und mit Schonung ge¬ 
schah, läßt sich bei den fortzuschaffenden Massen leicht denken. 
Eine Erscheinung aber ist mir heute noch, wie ein wilder 
Traum lebhaft im Gedächtnis, obwohl ich sie nicht zu erklären 
weiß. Einer der Verwundeten, ein russischer Artillerist, schrie 
furchtbar und schnellte sich dabei von dem Boden so weit in die 
Höhe, daß ich, der ich unten am Hügel stand, zwischen ihm und 
dem Erdboden über eine Elle den Lufthorizont sehen konnte. 
Wir hörten, es seien ihm beide Augen ansgeschossen, und dieses 
in die Höhe schnellen sei ein Krampf infolge des Schmerzes. 
Wir wandten uns schaudernd ab und hörten bald darauf einen 
Schuß fallen. Die Leute hatten sich seiner erbarmt. 
Jetzt kamen wir in eine Sandgrube, in der ebenfalls eine 
Menge toter Russen lag. Ein altes krummes Mütterchen hatte 
sich uns angeschlossen. Sie hatte ein so trauriges Gesicht, sah 
wie Not und Jammer aus und trug in einem Handkorbe einen 
großen Topf Wassersuppe nebst einem Näpfchen und altem 
Blechlöffel, um den verschmachtenden Menschen eine Erquickung 
zu bringen, gewiß die einzige, die ihr möglich war. Indem wir 
nun hinabsahen auf die Getöteten, schien es uns. als hörten wir
	        
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