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I. Sagen, Märchen und Schwänke.
1. Walthari und Hildgund.
Von Wilhelm Hortz (Deutsche Sage im Eisass).
ls Attila aus Pannonien heraufzog, beschloss der Franken¬
könig Gibicho um die Freundschaft des Unüberwind¬
lichen zu werben, und da sein eigenes Söhnlein Gunthari der
Mutter noch nicht entbehren konnte, sandte er ihm als Geisel
einen Knaben edeln Geschlechts, Hagano, mit unermesslichen
Schätzen. Seinem Beispiel folgte Herrik, der König von
Burgund, der zu Cabillonum*) sass, und überantwortete den
Hunnen seine Erbtochter, die schöne Hildgund. Der König
von Aquitanien endlich, Albhere geheissen, stellte seinen
jungen Sohn Walthari, der schon im Kindesalter mit Hild¬
gund verlobt worden war. Fröhlichen Herzens zogen die
Hunnen heim, und Attila liess die Knaben wie seine eigenen
Erben erziehen. Sie wuchsen heran, an Kraft die Starken,
an Geist die Weisen überflügelnd, und erwarben sich in den
Heerzügen den höchsten Kuhm und die Liebe des Königs.
Auch die Jungfrau stieg in der Gunst der Königin Ospirin
bis zum Amte der Schatzmeisterin.
Mittlerweile war der Frankenkönig Gibicho gestorben,
und sein Sohn Gunthari verweigerte den Hunnen den Zins.
Kaum hörte das Hagano, so entfloh er nächtlicherweile, wäh¬
rend Walthari auf einer Heerfahrt abwesend war. Von da
an duldete es auch diesen nicht länger am Hunnenhof.
Als er eines Tags siegreich von einem neuen Kriegszug heim¬
kehrte, fand er in des Königs Gemach Hildgund allein. Er
bat sie um einen Becher Wein und führte ihn mit der einen
Hand zum Mund, während er mit der andern die Hand der
*) Chalons an der Saone.
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