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verlassene Mutter; denn die harten Gläubiger hatten die Scheuern ge¬
räumt. Ein mitleidiger Nachbar lieh ihm den Samen; aber Tränen
fielen mit den Körnern in die Furchen. Nun erntet er hundertfältig;
denn der Herr hat seine Ernte gesegnet. Die mit Tränen säen, werden
mit Freuden ernten; sie gehen hin und weinen und tragen edlen Samen
und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben!"
Darnach fuhr eine vierte fort zu reden: „Wohlzutun und mitzu¬
teilen vergesset nicht; denn solche Opfer gefallen Gott wohl. Könnten
wir das hineinrufen in die Häuser der Reichen, die ihre Scheuern jetzt
füllen! Könnten wir's dem hartherzigen Manne zurufen, der gestern die
armen Ährenleser von seinem Acker trieb! Wen der Herr gesegnet, der
soll auch seine milde Hand auftun, daß er gleiche dem redlichen Boas,
der an der frommen Ruth Barmherzigkeit übte. Wohlzutun und mit¬
zuteilen vergesset nicht!" — Und die Wachteln riefen laut hinüber
ins Dorf, als wollten sie die schlafenden Herzen aufwecken.
Und also endete die fünfte Garbe: „Was der Mensch säet, das
wird er ernten! Wer kärglich säet, wird auch kärglich ernten, und wer
da säet im Segen, der wird auch ernten im Segen. Was wundert
ihr euch, daß Unkraut unter dem Weizen stehet? Hattet ihr den Samen
gesichtet, ehe ihr ihn ausstreutet? Wer Unkraut säet, wird Mühe ernten.
Wer auf sein Fleisch säet, der wird vom Fleische das Verderben ernten;
wer aber auf den Geist säet, der wird vom Geiste das ewige Leben
ernten. Was der Mensch säet, das wird er ernten!"
Und alle Garben umher neigten sich und sprachen: „Amen, Amen!"
Klaus Harms.
69. Wer nur den lieben Gott laßt walten.
1. Es schwimmt ein Schiff weit draußen auf dem Meer,
Auswandrer führt's, ihr Herz ist voll und schwer;
Erinn'rung trägt sie an des Rheines Strand,
Wo unter Reben ihre Hütte stand.
2. Ein Sonntagmorgen ist's; den Strom entlang
Tönt in der Heimat jetzt der Glocken Klang,
Und wo ein Kirchlein steht, da naht sich still
Die Schar der Beter, die Gott dienen will.
3. Kein Ton schwingt sich herüber; alles schweigt.
Zwei Männer haben tief das Haupt geneigt.
Der eine spricht: „Heut fehlt mir Gottes Wort!"
Der andre drauf: „Ich nahm es mit an Bord!"