Full text: [Bd. 1 = 1. Schulj. [Schülerband]] (Bd. 1 = 1. Schulj. [Schülerband])

119 
die Jagd abgebrochen werden mußte. Während sich der Regent mit 
einem Jagdgaste von seinem Standorte entfernte, stieß er ans den 
sechsjährigen Sohn seines Försters Agerer, der in leichtestem Anzug 
seinem Vater nachlaufend denselben verfehlt hatte und nun vor Kälte 
völlig erstarrt war. Es fand sich keine Hütte und kein Feuer in 
der Nähe, wo man den vor Frost zitternden Knaben hätte erwärmen 
können. Kurz entschlossen brachten der Regent und sein Jagdgast 
den Försterssohn hinter eine etwas gegen den rauhen Wind schützende 
Steinwand; dort legten sie sich nieder, nahmen den Erstarrten in ihre 
Mitte und brachten ihn, von ihren Wettermänteln bedeckt, durch 
ihre eigene Körperwärme zu neuem Leben. Auf solche Weise wurde 
der Knabe vor schwerer Erkrankung und dem drohenden Tode be¬ 
wahrt. Der Kleine, welcher an dem liebevollen Herzen seines 
Landesvaters zu neuem Leben erwacht war, studierte nachher und ist 
jetzt ein tüchtiger Beamter. 
Im Dienste des Regenten stand ein Jagdgehilfe, dessen Be¬ 
soldung durch Ausgaben für seine Kinder so sehr in Anspruch ge¬ 
nommen wurde, daß für seine eigenen Bedürfnisse nur wenig übrig 
blieb. Sein Anzug war deshalb durch starke Abnützung sehr ab¬ 
getragen und sein sehnlichster Wunsch war es, doch auch einmal in 
so sauberem und hübschem Jagdkostüm wie die übrigen Jäger vor 
seinem Landesherrn erscheinen zu können. Er freute sich deshalb 
ungemein auf den nächsten Zahltag, an welchem ihm nach seiner 
Berechnung soviel übrig bleiben sollte, daß er sich eine stramme 
Lederhose und eine neue Joppe anschaffen konnte. Doch als er 
seinen Gehalt ausgezahlt erhalten hatte, da traten unerwartet wiederum 
unaufschiebbar neue Ausgaben für seine jüngste Tochter ein, sodaß 
er abermals auf die Erfüllung seines langgehegten Lieblingswunsches 
verzichten mußte. Kaum hatte der Regent durch einen Jagdgast 
von dieser Angelegenheit vernommen, als er in seiner Herzensgüte 
beschloß den sehnlichen Wunsch des Jägers zu erfüllen. Nach kurzer 
Zeit prangte der Jagdgehilfe in einem neuen, schmucken Anzuge, 
mit dem der hohe Herr ihn überrascht hatte. 
Nach H. Reidelbach.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.